immer bekannter und ist auch hierzulande jetzt oft zu hören. Die erste Begegnung für manche hierzulande mit diesem samischen Musikstil war aber wohl der Film „Ofelas“, der erste abendfüllende samische Spielfilm (übrigens für einen Oscar nominiert). „Ofelas“ – dieses samische Wort bedeutet Pfadfinder oder Fährtensucher.
In diesem Film war die Stimme von Nils Aslak Valkeapää zu hören. Allerdings: der ganze große Erfolg für den Film blieb in Deutschland aus. Der deutsche Verleih nannte den Film „The Pathfinder“, doch zweimal th in einem Titel, das ist zuviel für deutsche Filmkritiker, die ihn sich lieber gar nicht erst ansahen und ihn wegen des Titels für einen Film über den Vietnamkrieg hielten. In „Ofelas“ bildet Joik die ständige Hintergrundmusik und verschmilzt streckenweise mit der samischen Sprache zu einer ganz eigenen Melodie.
Joiken zu beschreiben, den Gesangsstil, den Nils Aslak Valkeapää erneuert und in alle Welt getragen hat, ist alles andere als einfach.
Wie überhaupt einen Gesangsstil schildern, ohne ihm klangliche Beispiele beifügen zu können? Uralte Gesangsform, besondere Kehlkopftechnik, keine festgelegte Melodiefolge, kein vorgeschriebenes Tempo, hochentwickelte Improvisation, traditionell immer Sologesang, ohne Instrumentalbegleitung, das ist das theoretische Wissen. Wie sich das anhört, kann man sich noch immer nicht vorstellen. Wie lange die Sami schon joiken, wissen wir nicht. Sie haben keine Geschichtsbücher verfasst, hatten einen zyklischen, dem Kreislauf der Natur angepassten Zeitbegriff und lernten Jahreszahlen erst kennen, als sie „zivilisiert“ wurden. Jahrhunderte ist dieser Gesangsstil jedenfalls alt, wenn nicht Jahrtausende.
Männer und Frauen joikten, nicht nur Noaiden, wie manchmal zu lesen ist. Allerdings nicht alle gleich gut, es hat immer berühmte JoikerInnen gegeben und solche, die nur leise in der Sauna joikten.
Die vorhandenen Berichte über Joiken reichen nur wenige Jahrhunderte zurück, bezeichnenderweise ist die erste Erwähnung ein dänisches Gesetz von 1607, das Joiken mit der Todesstrafe belegte. Damals wurde offenbar bei religiösen Zeremonien gejoikt, bei Festen, bei Auseinandersetzungen, aber Joiken erschien auch als das geeignete Mittel, um über die Geschichte der Sami oder der eigenen Sippe zu berichten.
Aufschlussreich ist ein Beispiel, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgezeichnet wurde. Es ging um einen „Sängerkrieg“ zwischen Noaide (der als Vertreter des heidnischen „Barbarentums“ besonders der Verfolgung durch die Kolonialmächte und ihre frommen Missionare ausgesetzt war) und Dieb (Symbol für die Eroberer). Die Noaiden standen in dem Ruf, Rentiere in die Arme der samischen Jäger joiken zu können. Sollte es ihnen da nicht gelingen, auch die fremden Eindringlinge wegzujoiken? Und der Noaide sang: „Scher dich weit weg von hier, dahin, wo du gekommen bist, ich werfe dich weit weg von hier.“
Eine schöne Vorstellung, leider schlug der Versuch fehl. Joikforscher sehen darin einen Grund für den Niedergang der Joikkultur seit dem 19. Jahrhundert. Die Gesellschaft, die diese Kultur entwickelt hatte, gab es nicht mehr, für die neuentstandenen Probleme bot Joiken keine Hilfe, und wer überleben wollte, musste sich der Kultur der norwegischen, schwedischen, finnischen oder russischen Eroberer anpassen, in der es für samische Dinge keinen Platz gab.
Doch manches überlebte, oft im Verborgenen. So erinnerte sich um 1990 der damals siebenundsiebzig Jahre alte Same Gaebpien Gästa: „Wir Südsami hielten Joik für ausgestorben. Im Norden, wo die Sami in der Mehrheit waren, trotzten sie dem Verbot jahrhundertelang. Im Süden war der Druck stärker. Aber dann stellte sich heraus, dass Joiken überlebt hatte, fast in einem Komazustand. Eine kulturelle Äußerung lässt sich nur schwer durch ein Verbot ersticken, und in meiner Generation kam es immer noch vor, dass die Menschen im Joiken ihre Zuflucht suchten.“ Heute kennen wir vor allem kürzere Personenjoiks oder Tier- und Naturbeschreibungen als Kombination von Wort und Melodie.
Hier ein hübsches kleines Beispiel von Nils Aslak Valkeapää:
„Der Rentierstier ist so mächtig, sein starkes Halshaar, sein mächtiges Geweih. In der Brunftzeit verspüre ich sonderbaren Neid.“
Diesen Stil also reformierte der samische Dichter Nils Aslak Valkeapää fast im Alleingang (auch wenn er das nie hören wollte und abwehrend auf die vielen Freunde und Kollegen verwies, mit denen er bei immer neuen Projekten zusammenarbeitete) und trug ihn in alle Welt. Seine Aktivitäten brachten ihm nicht von Anfang an nur Lob von Seiten seiner Landsleute ein, Puristen hielten manche seiner Neuerungen für „uneheliche Kinder“, wie er selbst das ausdrückte. Dass der Joiker sich von Synthesizer begleiten ließ, erboste sie ebenso wie ein frecher Text. Und vor beidem schreckte Valkeapää nie zurück:
„Die Sommersonne scheint, brennt
vom offenen Meer weht ein warmer Wind
ich liege auf dem Rasen, gebe mich dem Sonnenlicht hin und trinke Bier.“
Mit dem Bier wollte er den strengen Laestadianern eins auswischen, die ja jeglichen Alkoholgenuss ablehnen. Die anfängliche Kritik verstummte bald, einerseits, weil die jungen Leute sich von Valkeapääs Beispiel begeistern ließen, andererseits (sagte er mit einem Grinsen): „Weil viele von den alten Tugendwächtern eben jetzt zu alt sind, um noch groß rumzuschreien!“ Wie nachhaltig er das Joiken reformiert und neubelebt hat, hat er selbst nicht mehr erleben dürfen.
1996 wurde Nils Aslak Valkeapää Opfer eines schweren Autounfalls, brauchte mehrere Jahre, um sich einigermaßen von den Folgen dieses Unfalls zu erholen. Im Jahre 2000 teilte er mit, er fühle sich endlich stark genug für einen neuen Anfang, ein CD-Projekt stand als erstes auf dem Programm. Aber vollendet wurde das Werk nie, er hatte seiner noch immer labilen Gesundheit zuviel zugemutet, und 2001 starb Nils Aslak Valkepää im Alter von nur 58 Jahren ganz überraschend an einer Lungenembolie.
In Erinnerung bleibt er als größter Joiker und bedeutendster samischer Dichter seiner Generation, vielleicht sogar aller Zeiten. Und als Wegweiser für eine neue Generation von samischen Joikern und Joikerinnen, die zwar alle versuchen, ihren eigenen Stil zu entwickeln, doch bei allen ist zu hören, daß sie ausgiebig Valkeapää gehört haben.
Zum Einstieg: bei YouTube Nils-Aslak Valkeapää eingeben, es gibt eine Menge zu hören, und am Rand tauchen dann andere Vorschläge zu Joik auf. Weitersuchen!
Und mehr über Sami, Joik und Valkeapää in: 111 Gründe, Norwegen zu lieben, Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf 346 S., 14, 99 www. https://schwarzkopf-verlag.info/ (GH)