50 Jahre haben wir zuerst nach den Kögler-Schallplatten getanzt und uns dann die schönsten Melodien Europas gewählt.
NEUE FOLKMUSIK
ine wohltuende, melodienreiche, moderate, angenehm klingende, traditionelle Musik. Dabei haben wir uns an die unterschiedlichen Stile und Rhythmen der Völker Europas gewöhnt. Und wir haben festgestellt, dass die Tanzkreise immer weniger wurden, Tanzmeisterinnen, die ihr Leben lang unterrichtet hatten, wurden immer älter und ließen jüngeren selten Platz.
Und das Tanzen war schön, gemütlich, aber wenig aufregend, für Jüngere nicht mehr attraktive. Das Durchschnittsalter in den Gruppen stieg von Jahr zu Jahr, so dass die Folktanzszene nun fast nur noch aus Senioren besteht, die meist fröhlich zusammenkommen und miteinander Tanzen, befreundet sind, den Alltag vergessen machen. Soll es das gewesen sein? War das der Aufbruch und Abklang einer neuen Musik- und Tanzepoche?
Wenn eine Band spielte, dann war das schon etwas anderes, ein Wohlgefühl mit handgemachter Musik, mit Spannung, manchmal mit einem Feuerchen. Es war schon anderes als die Musik von den Kögleraufnahmen. Nur es war eingebettet in einen Sound von langen Friedenszeiten, mehr als Gemütlichkeit, aber nicht vom Hocker reißend. Es war der Sound des nicht mehr neuen gemeinsamen Europas.
Nun kommen die Russen, die Ukrainer, die Ungarn und Zerrwanst aus Leipzig daher und bringen uns frischen Wind mit einer bassbeherrschten, rhaythmischen Musik mit neuen Melodien und herrlichen Tanzformen, mitreißend, aufweckend, in einefröhliche Trance versetzend, einen Jubel mit herrlicher Livemusik. Es ist Feuer in der Musik, mitreißend, antreibend, verjüngend, raus aus dem Tanzwanderschritt, Musik zu neuen Ufern, mit weltweiten Spuren vom Fliegen über Ozeane, von Afrika, von Aufregung, von Herzschlag.
Da geraten die Jüngeren in Hitze, in Freude, in Lachen und reißen die Alten mit. Das ist eine neue Art von Tanzen, aufregend, nicht nur gemütlich, hier Sprünge, das ein Hopser, ein Tampeln, ein Juchzen. Die Jugend ist zurück und bewegt sich und die Alten mit. Es ist Freude, Begeisterung. Und viele kommen. Der Saal ist voll. Der Tanzmeister mit Mikro zaubert aus bundesrepublikanischen Alltagsmenschen wieder ein Stück Jugendbewegung.
Ist es in Deutschland nicht nur Zerrwanst? Wer macht diesen Aufschwung mit? Mit Basss-Dynamik im Rhythmus, mit Laut und Leise, mit schneller werdend, mit einer Beatmusik, wo der Bass die Melodienläufe beherrscht. Das ist kein Pop, das ist Beatfolk bei dem sich die Melodien dem Rhythmus anpassen, unterordnen. Dynamik im Musizieren, im Singen, im Auftreten, im Komponieren, im Mitreißen. Was damals die Blowzabella, Groupa, Folkländer und Elbraben waren, ist heute Zerrwanst? Oder wer noch?
Das fragt sich, welche Tanzkreise, welche Tanzfeste, welche Folkfeste das gleich schonb annehmen? Und ob die Deutschtänzer nachziehen können und Bands auch die alten, schönen, deutschen Tänze renonvieren, neu gestalten? Nach 100 Jahren?
hedo
Deutsch-Folk
Eine Wiederentdeckung
von Guntmar Feuerstein
Im Grunde bin ich kein Folkie. Dafür ist mein Interesse an Musik der verschiedensten Genres zu groß. Aber ich liebe die Folkmusik. Sie kann einfach und unmittelbar sein, hier und da ist sie von großer Ehrlichkeit und poetischer Tiefe und man kann sie fast überall spielen. Am liebsten in der Küche.
Der Begriff Deutsch-Folk war mir nie sonderlich geläufig. Mir war auch selten danach, die landestypischen Spielarten streng einzuordnen in Irish, Scottish oder Scandinavian Folk, das brachte das Wort Folk doch schon von allein mit. Volksmusik/Folkmusic aus verschiedenen Ländern in ihren eigenen Sprachen, Melodien und Tänzen. Gut, Irish Folk ist durch die Kommerzialisierung schon zu einer echten Marke geworden. Wenn ich z.B. mit meiner Band in einer Kneipe auftreten wollte und ich würde sagen „irish folk“, dann bekäme ich wohl den Job. Das ordnet der Wirt dann eben in die Biertrinkerfolkabteilung ein … aber ich will hier nicht meckern, das muss auch gemacht werden.
Generell fühle ich mich in der Welt der akustischen Musik sehr zu Hause. Natürlich ist jede Musik akustisch, aber das natürlich klingende, stromlose Instrumentarium hat schon etwas Besonderes. Ich spüre die warmen Vibrationen am Körper, wenn ich Gitarre spiele, den Punch, wenn ich harte Chops auf der Mandoline schlage oder dass Rappeln meines alten Höfner Gitarrenbanjos. Und wie groß ist der Spaß, wenn man am Rande eines Bluegrass Konzertes ganz spontan mit wildfremden Musikern im engen Kreis ein paar Tunes oder Songs zusammen jammt. Herrlich.
Deutsch-Folk ist für mich Folk aus dem deutschen Sprachraum. Die Lieder können uralt sein oder frisch geschrieben. Sie dürfen von Liebe, Trauer, Freude, Wut oder welchen Gefühlen auch immer erzählen. Sie können Chronik oder Vision sein, Träume oder bittere Wahrheit, aber immer sollte die Gemeinschaft daran teilhaben können. Wenn das Volk/Folk mitfühlt und versteht, ist alles gut. In jungen Jahren habe ich die LP „7 Lieder“ von Hannes Wader Wort für Wort mitsingen oder sprechen können. „Dat du min Leevsten büst“ hatte mich aber ebenso gepackt. Und ich war nicht der Einzige in unserer Clique.
Heute mache ich mit meinen Töchtern zusammen Musik und wir entdecken gemeinsam Altes und Neues. Sie kannten das Lied von den Königskindern von meiner Frau, es war früher ihr Gutenachtlied. Jetzt wollten sie es unbedingt singen. Wir haben eine Version mit DADGAD-Gitarren, Bouzouki, Flöte und Wurlitzer aufgenommen, lebendige Tradition, könnte man sagen. Deutsch-Folk? Klar. Dann schreiben wir aber auch neue Lieder und Tunes. Warum nicht. Die Grenzen sind schon seit vielen Jahren fließend.
Seit den 60er Jahren hat der Deutsch-Folk eine rasante Entwicklung gemacht. Die Burg-Waldeck-Festivals als Keimzelle, der große Schub mit der Friedensbewegung Ende der 70er, und nicht zuletzt nach der Wiedervereinigung hatte die Sehnsucht nach einer unverkrampften deutschen Identität mehr und mehr Bands und Singer/Songwriter zu deutschen Liedern ermutigt. Dass immer noch der Schatten des Dritten Reiches über vielen alten Volksliedern schwebt, kann nur Ansporn sein, die Deutungshoheit, die die Nazis seinerzeit gekapert hatten, wieder zurück zu gewinnen. Ich bin da sehr zuversichtlich.