Meißnertreffen 1913 – 2013 – Zum Nachdenken

Meißner 2013

Ich nehme den Artikel von Helmut Wurm zum Anlass, vier Gedankengänge und Beobachtungen zu Meißner 1923 bis 2013 zu äußern.

1. Die Meißnerformel, 2. Das Zusammenkommen und Zusammenwirken  3. Die Form des Lagers 2013. 4. Das Extralager 

1.Die Meißnerformel ist eine der wenigen Aussagen aus der Wandervogel- und Reformbewegung, die von allen mit kleinen Abweichungen akzeptiert wird. Heute setzen wir dazu: „Das Leben selbst und in Gemeinschaft zu gestalten.“ Gemeinschaft wurde 1913 in der Formel nicht erwähnt, weil die damals viel selbstverständlicher war, als in unserer egoistisch-kapitalistischen Gesellschaft.

2.Das Zusammenkommen der Bünde, besonders der Wandervogel- und Jungenschaftsbünde war für mich immer ein eindrucksvolles, kreatives und zukunftsgerichtetes Treffen. Das war es auch diesmal. Nur das Zukunftsgerichtete kam zu kurz. Es waren diesmal bei großen Lager kaum Wandervögel dabei. Es gibt auch zur Zeit nur wenige.

3.Das Lager war auf dem Meißner riesig, großartig vorbereitet und strotzte von Aktionen, Happenings, Überraschungen. Ich war in den Jurten des Mindener Kreises sehr gut aufgehoben. Wandervögel waren kaum zu finden. Wieder andere brieten noch ihre Extrawürste. Die Pfadfinder, die Waldjugend und andere waren in der Lage ein Lager aufzuziehen, das Hochachtung verdient. Die große und gut vorbereitete Festveranstaltung hatte leider nur Vorträge, die mich nicht in den Bann zogen und wenig für die Zukunft der Menschen und Jugendlichen in Deutschland bot

3.Die meisten Wandervögel hatten sich in einem kleinen Extralager auf der Hausener Hute abgesondert. Dort fand die Festveranstaltung im Regen statt. Das Feuer wollte nicht brennen. Die Festrede von Ketscha, früher Bundesführer im Wandervogel Deutscher Bund, war die beste der gehaltenen Rede. Ich las sie erst später. Sie war schlecht vorgetragen, kaum zu hören und nicht zu verstehen und für den Regen viel zu lang. Ketscha war seines Alters wegen nicht dabei. Eine junge Frau trug die Rede vor. Und als einige ältere Gäste unaufgefordert das todesmutige Lied vom Rhein und heiligen Vaterland in Gefahren anstimmten, sank unsere Stimmung auf Null, und wir kehrten betroffen zum Ludwigstein zurück und fühlten uns wie Wanderer zwischen zwei Welten. hedo

(Zu Kenntis des Liedes, das von Nazis missbraucht wurde, das 1914 als Kaiser- und Kriegsförderung entstand, und das so nicht mehr singbar ist: Heilig Vaterland! In Gefahren deine Söhne sich um dich scharen. Von Gefahr umringt, heilig Vaterland, alle stehen wir Hand in Hand! 2. Bei den Sternen steht, was wir schwören. Der die Sterne lenkt, wird uns hören. Eh der Fremde dir deine Kronen raubt, Deutschland, fallen wir Haupt bei Haupt! 3. Heilig Vaterland, heb zur Stunde kühn dein Angesicht in die Runde! Sieh uns all entbrannt, Sohn bei Söhnen stehn. Du sollst bleiben, Land, wir vergehn!)

Der folgende Artikel regt zum Denken an, aber entspricht nicht der Meinung der Redaktion

Beitrag zur Entmythologisierung von Meissnertreffen und Meissnerformel

1913 von Puschkin (Helmut Wurm)

  1. (Der derzeit letzte Bearbeitungsstand dieses Kurzbeitrages ist der 8. 4. 013)
  2. Dieser Beitrag ist kein konformer Beitrag zum Chor begeisterten Meißnertreffen-Freunde, sondern ein Querdenker-Beitrag, der manche Sichtweise und Entwicklung hinterfragt. Er möchte begründen, weshalb das Meißnertreffen von 1913 keinen Kult-Charakter für die Wandervögel gehabt hat und weshalb die Meißnerformel von 1913 keine Kult-Formel und kein Kult-Ausdruck für die Wandervogelbewegung war und bis heute ist.
  3. Anfangs einige Begriffs-Richtigstellungen:
  4. Unter Jugend verstand man um 1900 eine andere Altersstufe als heute. Der Terminus „Jugend“ bezeichnete die Altersspanne etwa zwischen 16 bis 25 Jahren, also die Altersstufe Adoleszenz bis junge Erwachsene im heutigen Sprachgebrauch. Man sprach damals von gymnasialer Jugend, studentischer Jugend, akademischer Jugend, Turnerjugend, soldatischer Jugend… Die Altersstufe davor waren die Knaben und Mädchen. Der frühe Wandervogel war also keine Jugendbewegung im heutigen Sinne, sondern eine Bewegung von Adoleszenten und jungen Erwachsenen, die allerdings Jugendliche ab 14-16 Jahren um sich sammelten.
  5. Der frühe Wandervogel war primär keine Reformbewegung und keine Protestbewegung gegen die Erwachsenen, sondern primär eine unpolitische Entdeckungsbewegung der Natur außerhalb der Stadtballungen und eine Wanderbewegung hinaus in die Romantik. Die frühe Wandervogelbewegung benötigte sogar die Hilfen der Erwachsenen. Ohne Erwachsenenhilfe (z.B. einige Lehrer in Steglitz und die Eufrat-Mitglieder) hätte es die Gründung und den Aufbau der Wandervogelbewegung nicht gegeben.
  6. Es ist vielen heute Lebenden schwer, sich die beginnende Fluchtbewegung aus den StadtBallungen ab dem Ende des 19. Jhs. zu vergegenwärtigen. Die Menschen waren vorher in den Siedlungen weitgehend gefangen gewesen. Erst der Ausbau des Eisenbahnnetzes ermöglichte die Erschließung der weiteren Stadtumgebungen und Deutschlands für größere Gruppenreisen. Um 1900 hatte das Eisenbahnnetz eine solche Dichte erreicht, dass man leicht und billig in jede Richtung fahren konnte. Es öffnete für die Wandervogelgruppen die Tore in die weite Welt. Ab den Wandervogelanfängen liest man in Fahrtengberichten, dass man sich an Bahnhöfen traf, mit dem Zug in die Fahrtengegend fuhr und die Fahrten an Bahnhöfen beendete. Es war nicht die Flucht vor dem Zwang der damaligen Erziehung, die den Wandervogel entstehen ließ. Reformfanatiker, damals wie heute, wollen das nur der Wandervogelgeschichte unterschieben.
  7. Um das Selbstverständnis des Wandervogels und seine Motivationen zu verdeutlichen, sollen einige Beiträge aus der Monatsschrift des Einigungsvereins „Wandervogels e.V.“ aus dem Jahr 1913 zitiert werden:
  8. Rudolf Sievers 1 beantwortete die Frage „Was ist der Wandervogel?“ so: Der Wandervogel will laut Satzung „Erstens… das Wandern der deutschen Jugend fördern, den Sinn für das Naturschöne wecken und der Jugend Gelegenheit geben, Land und Leute der deutschen Heimat aus eigener Anschauung kennen zu lernen“…
  9. 1
  10. Sievers, Schriftleiter dieser Zeitschrift in einem Artikel, der bewusst als Aussage für die geplante Festschrift des bevorstehenden „Freideutschen Jugendtages“ gemeint war; in: Wandervogel, Monatsschrift für deutsches Jugendwandern, Jahrgang 8, Oktober 1913, Heft 10, S. 278. Etwas dichterischer beschrieb Hans Breuer 2 die Fluchtbewegung der frühen Wandervögel aus den Städten und gleichzeitig die Wandlung vom wilden Vaganten-Wanderstil zum kulturromantischen Stil: „Und sie fluchten ihrer Großstadt, verhöhnten, was noch an Heiligem an ihr klebte. Sie kürten sich Armut, Not und Entbehrungen, stürmten hinaus in wilde Klüfte und Wälder und tagten dort in der Einsamkeit. Das war eine wilde, schöne Zeit… Aber mählich, wie sie reifer wurden, zog’s sie, die bäuerlichen Stuben zu schmecken, durch Gässchen altfränkischer Städtchen zu schweifen, sie sahen den feierlichen Ernst wuchtiger, rundbogiger Münster, die ragenden Dienste gotischer Kathedralen und spürten einen Hauch von ihrem Genius“.
  11. Und der neu gewählte Bundesführer 3 des neu gegründeten Einigungsbundes e.V. warnte im selben Heft vor Reformern auf diesem geplanten Freideutschen Treffen, vor denen man Vorsicht haben müsse. „Aber da kommen aus dieser Jugend selbst einige hervor und raunen und rauschen den anderen heimliche Dinge ins Ohr. Und sagen: Das Wandern und Singen an sich ist gar nichts wert. Wir müssen eine neue Jugendkultur schaffen, darauf kommt alles an… Ich bin auch anderen begegnet, Jünglingen mit schmachtenden Augen, denen war das Herumlaufen mit nackten Beinen und bloßem Kopf und das Tragen langer Haare wichtiger als die ganze Wanderei… Wieder andere habe ich getroffen, die wollten, dass der Wandervogel… sich… mit allen möglichen anderen Verbänden, die auf Lebenserneuerung drängen, zu gemeinsamer Arbeit zusammenschließe,… als ob das nicht der Tod einer Jugendbewegung sein müsste… Unsere Liebe sei Wald und Heide, Berg und Strom. Unser Ruf sei derselbe… Hinaus in die Ferne“.
  12. Und im nächsten Heft 11 antwortete Edmund Neuendorff auf den Antrag von Wandervogelführern, Teilnehmern am gerade zurückliegenden Meißnertreffen, der Meißnererklärung beizutreten: Der Antrag werde der nächsten Bundesversammlung des e.V. vorgelegt, „Aber wir im Wandervogel dürfen nie und nimmer vergessen, dass unsere erste und ernsteste und heiligste Aufgabe sein muss: Förderung des Wanderns und der von selbst aus ihm erblühenden und durch Lebenskräfte notwendig mit ihm verbunden äußeren und inneren Kultur deutscher Jugend.“ 4
  13. Für die Wandervogelbewegung passte zusammenfassend gut die spontane Formulierung von Muck-Lamberty (Friedrich Lamberty, genannt Muck) 1919: „Unsere Fahrt geht ins Blaue…“
  14. Natürlich gab es auch Wandervögel, die froh waren, der damaligen Erziehungswelt und Familienwelt entweichen zu können. Aber das war nicht die primäre Intention der neuen Bewegung. 5 Und es gab auch früh Versuche, diese neue Bewegung zu ideologisieren. Aber es war hauptsächlich die harmlos-naive Ideologie von der Suche nach der blauen Blume, die aus der Romantik übernommen wurde, die man dem Wandervogel überstülpte.
  15. Diese ideologisch naiv-harmlose Wandervogelbewegung war z.B. dem Reformpädagogen Wyneken nicht ernsthaft genug. Er meinte, der Wandervogel habe in Lied und Tanz einen Ausdruck jugendlichen Frohsinns gefunden, sich damit aber auch bereits zufrieden gegeben und habe es sich wohl sein lassen. Die ganze künstlerische Einstellung des Wandervogels sei auf bloßen Stimmungsgenuss gerichtet, und zwar auf einen ziemlich bequemen und billigen Genuss.6
  16. 2
  17. Hans Breuer, ehemaliger Bundesführer des Wandervogels D.B., der als größter Teilbund im e.V. aufgegangen war; ebenda S. 283.
  18. 3 Edmund Neuendorff, Schulleiter; ebenda S. 302f. 4 Edmund Neuendorff, Wandervogel…, Heft 11, S. 332f. 5
  19. Diesbezüglich sollte man die weitergehenden Behauptungen von Blüher mit Zurückhaltung zur Kenntnis nehmen, denn überall dort, wo er interpretiert, ist große Zurückhaltung geboten.
  20. 6
  21. Nach http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/, Artikel zu Gustav Wynneken, 556277#sel=20:1,20:58 II. Die Einladung zum Meißnertreffen
  22. Der Beginn des Vorhabens ist etwa Ostern 1913 zu datieren. Denn damals bekam die Idee von einem alternativen Jahrhundertfest einen wesentlichen Anstoß. Denn auf dem Bundestag der Deutschen Akademischen Freischar (DAF) in Jena machte ein Gast, welcher Mitglied des Deutschen Bundes abstinenter Studenten (DBaSt) war, den Vorschlag eine würdige, insbesondere alkoholfreie, Gedenkveranstaltung zu Ehren der Völkerschlacht bei Leipzig durchzuführen. Dieser Vorschlag wurde in den Reihen der DAF mit Begeisterung aufgenommen und fortan blieb die DAF die treibende Kraft hinter den Vorbereitungen des Ersten Freideutschen Jugendtages. Man nahm anschließend Verbindung zu anderen Bünden und Studentenverbindungen auf, auch zu den damaligen Wandervogelbünden. 7 Der erste historische Anschub zu diesem Alternativtreffen ging also nicht von den Wandervögeln aus, sondern von einer Bundesrichtung, die – durchaus nachvollziehbar – ein Treffen von jungen Erwachsenen und insbesondere von Studenten vorschlug, dass sich nicht in den damaligen Maßstab einordnete, der den deutschen Mann nach seiner Fähigkeit maß, wie viel Alkohol er vertragen konnte. Dieser enge Ideengeber-Kreis suchte nun nach Bünden, die ein solches Treffen mit gestalten würden. Die Mehrzahl der hinzu geworbenen und besonders aktiven Bünde waren kleinere Reformgruppen mit verschiedenen anderen Zielsetzungen, daneben 2 Wandervogelbünde.
  23. Ein erstes Treffen interessierter Bünde zur Vorbereitung eines solchen Treffens fand Pfingsten 1913 in Jena statt. An diesem Treffen nahmen 13 Bünde teil und hier wurden Name, Ort und grober Ablauf des Festes festgelegt. Der Name „Freideutscher Jugendtag“ orientierte sich nach einem Vorschlag des Urwandervogels Friedrich Wilhelm Fulda, dem damaligen Verantwortlichen der Wandervogel-Führerzeitschrift. Den Hohen Meißner als Ort schlug Christian Schneehagen vor, Mitglied der Deutschen Akademischen Freischar und späterer Mitorganisator des Meißnertreffens.8
  24. Der erste Aufruf im Sommer 1913 erschien in der Wandervogel Führerzeitung (Heft 7, 1913) und wurde im Namen der Deutschen Akademischen Freischar von Knud Ahlborn unterschrieben. Der zweite Aufruf erschien kurze Zeit später im Gaublatt „Nordmark“ des Wandervogel e. V. (Heft 4, 1913) und war erstmalig von allen veranstaltenden Bünden unterschrieben. Als Festleitung wurde Christian Schneehagen angegeben.
  25. Folgende Bünde schlossen sich zur Vorbereitung und Einladung zusammen:
  26. Deutsche Akademische Freischar, Deutscher Bund abstinenter Studenten, Deutscher Vortruppbund, Bund deutscher Wanderer, Wandervogel e.V., Jungwandervogel, Österreichischer Wandervogel, Germania – Bund abstinenter Studenten, Freie Schulgemeinde Wickersdorf, Bund für freie Schulgemeinden, Landschulheim am Solling, Akademische Vereinigungen Marburg und Jena, Serakreis Jena, Burschenschaft Vandalia Jena.9
  27. Zum Meißnertreffen 1913 hat es mehrere Einladungen gegeben. 10 Die letzte Einladung zum Meißnertreffen, weitgehend formuliert von Gustav Wyneken, war eine pathetisch-
  28. 7
  29. Eng angelehnt an die Mitteilung in http://buendische-vielfalt.de/?p=3353 und http://buendischevielfalt.de/?p=3460, die wiederum als Quelle angeben: Johannes Jacobs (kugel), Was war das – das Meißnerfest 1913?, Kiel 1987, Seite 42-43.
  30. 8
  31. http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Freideutscher_Jugendtag#cite_note-1 9
  32. http://buendische-vielfalt.de/?p=933, siehe dort: Was ließen jene… #2 – Aufrufe zum Freideutschen Jugendtag… ; 10
  33. http://www.digam.net/dokument.php?ID=9247&PHPSESSID =54853573ed0494d618a5b774685e474f (=Digitales Archiv Marburg, DigAM); Siehe auch die ausgewählten Quellen im Eisbrecher, http://www.der-eisbrecher.de/cont_files/df_meissner.pdf und; http://buendische-vielfalt.de/?p=3117; http://buendische-vielfalt.de/?p=1450; http://buendische->
  34. de/?p=933 rhetorisch-suggestive Meisterleistung eines Krisen-Manifestes zur angeblichen Situation der deutschen Jugend um 1900.
  35. Formulierungen wie „Die deutsche Jugend steht an einem Wendepunkt…, träge Gewohnheiten der Alten und den Geboten einer hässlichen Konvention,… Wir wollen auch weiter getrennt marschieren, aber in dem Bewusstsein, dass uns ein Grundgefühl zusammen schließt, so dass wir Schulter an Schulter gegen die gemeinsamen Feinde kämpfen,… Möge von ihm eine neue Zeit deutschen Jugendlebens anheben“ suggerieren einen Jugendnotstaat und negieren, dass damals die Erziehung durch Eltern und Schulen in vielen Fällen besser war als die heute häufige Nicht-Erziehung und schlechte Erziehung durch viele Medien. Die damalige Erziehung war zugegeben etwas überbehütet, zu konventionell, aber zu einer allgemeinen Dramatik war kein Anlass. Diese Sorge ist eher für die Gegenwart berechtigt.
  36. Zusammen mit den früheren Aufrufen zu einem Meißnertreffen, jeweils formuliert von Knud Ahlborn, Christian Schneehagen bzw. W. Groothoff, wird die Absicht erkennbar, dass eine Minderheit von Reformern und Reformgruppen mit Hilfe von zahlenmäßig größeren Verbänden, z.B. dem Wandervogel, ihre Reformvorstellungen und Ziele in die Gesellschaft tragen wollte. Der Wandervogel war als zahlenmäßig starke Hilfstruppe geplant, die ideelle Leitung sollte aber bei den Reformern bleiben.
  37. Die Formulierung „Die“ deutsche Jugend… suggeriert, dass hier die gesamte deutsche Jugend angesprochen würde. In Wirklichkeit betraf das nur die Jugend der bürgerlichen Sozialschichten. Die bäuerliche Jugend, damals noch der weitaus größte Anteil, hatte weder Zeit noch Gelegenheit für Freiräume. Die zunehmende Arbeiterjugend hatte andere Sorgen, nämlich die finanzielle schmale Basis und überlange Arbeitszeiten, und war größtenteils in den sozialistischen Jugendorganisationen erfasst. Für obige Reformideen, für pädagogische Freiräume und auch für die notwendige Zeit dazu kam nur die bürgerliche Jugend der mittleren und höheren Sozialschichten in Frage. Diese dürften damals kaum mehr als ca. 10 % der damaligen Gesamtjugend insgesamt umfasst haben.
  38. Zu den tragenden Kräften des Meißnertreffens
  39. Das Meißnertreffen 1913 wurde primär geprägt von der DAL, der Deutschen Akademischen Freischar. Diese Bewegung war von dem zu Reformen neigenden Knud Ahlborn und seinem Freund Hans Harbeck 1907 in Göttingen gegründet worden und als eine Weiterführung der Wanderverein-Bewegung im Bund Deutscher Wanderer speziell für die Sozialschicht der Studenten.
  40. Knut Ahlborn hatte in Hamburg 1905 als 17-Jähriger den ersten Wanderverein gegründet. Dieser Hamburger Wanderverein beschrieb sich als „Selbsterziehungsverein höherer Schüler“. Der daraus entstandene Bund Deutscher Wanderer formulierte sein Ziel so: „Vom Wanderer zum Menschen, das ist unsere Erkenntnis und unser Ziel“. Damit war seine Zielsetzung pädagogischer Art und stand in der pädagogischen Tradition, die Goethe in seinem damals viel beachteten Erziehungsroman „Wilhelm Meister“ ausgesprochen hatte, dass nämlich der Mensch nur durch Wandern und Reisen zur inneren Reife gelangen könne.
  41. Die erste Deutsche Akademische Freischar (DAL) in Göttingen hatte bewusst statt der ursprünglich geplanten Bezeichnung „Akademischer Wanderverein“ den kämpferischeren Namen Akademische Freischar gewählt. In der Gründungsurkunde beschrieb man sich als „Kampfbund zur Reform des Deutschen Studententums“. Man verstand sich als Alternative zu den traditionellen Studentenverbindungen und war gegen das studentische Fechten und Trinken und hielt weiterhin am goethischen Ideal der Menschenbildung zum Guten und Schönen fest. 1913 formulierte die Akademischer Freischar eines ihrer Ideale so: „Alle Veranstaltungen der Freischar haben Gesundheit und Schönheit zum obersten Gesetz“. Damit war die Akademische Freischar keine studentische „Roverstufe“ für Wandervögel, sondern eine elitäre und letztlich pädagogisch orientierte Bewegung, die mit dem viel „naiveren“ Wandervogel nur das Wandern, aber nicht die Zielsetzungen gemeinsam hatte.
  42. Es war auch nicht so, dass die älteren Wandervögel automatisch oder hauptsächlich als Studenten in die örtlichen Freischargruppen eintraten. In Heft 4 der Zeitschrift des e.V. Wandervogel… vom April 1913 gab es dazu eine kleine Diskussion in Form von 4 Lesermeinungen. 11 Eine Zuschrift empfahl den Eintritt studierender Wandervögel in die Freischar, weil die Ziele studentischer Verbindungen über die Ziele des Wandervogels hinaus gingen (z.B. Stellungnahmen zu verschiedenen Kulturfragen) und die Wandervogelziele nicht mit solchen studentischen Zielen vermengt werden dürften. Der Schreiber bedauerte gleich-zeitig, dass sich bisher so wenige studierende Wandervögel der Freischar oder vergleich-baren studentischen Korporationen angeschlossen hätten und schlug vor, offiziell für solche Übergänge nach der Schüler-Wandervogelzeit zu werben. „Ich halte es für das beste, die Wandervögel immer wieder auf die Freischar und ähnliche Verbindungen hinzuweisen. Dass sich bis jetzt so wenige angeschlossen haben, mag zum Teil daran liegen, dass diese Verbindungen noch zu neu und unbekannt sind… Dazu kommt, dass er seine Bekannten meistens im Wandervogel hat und nicht in der Freischar.“ 12
  43. Die anderen 3 Leserzuschriften hielten durchaus studentische Wandervogelgruppen als Gruppierung für die älter gewordenen Wandervögel für sinnvoll und verwiesen auf schon bestehende akademische Wandervogelgruppen. Auch die studentische Wandervogelgruppe um Hans Breuer in Heidelberg lebte ihre Wandervogeltradition als weitgehend akademische Gruppierung, die Heidelberger Pachanthey, in Heidelberg weiter.
  44. Knud Ahlborn war zusammen mit einigen anderen Freunden aus der Freischar der Hauptinitiator des Freideutschen Jugendtages auf dem Meißner und der so genannten Meißnerformel, wobei Ideengeber für die Formulierungen vor ihm möglich sind. Knud Ahlborn war von seiner Anlage her ein Mensch, für den Aspekte der Menschenbildung von zentraler Bedeutung waren und der in gewisser Weise lebenslänglich zu Idealisierungen, Reformen und Neugründungen neigte.
  45. Dass sich Knud Ahlborn in Göttingen kurz vor seiner Gründung der Akademischen Freischar der dortigen Altwandervogel-Gruppe angeschlossen hatte, hat nicht die Bedeutung, dass er die Freischar als „Rovergruppe“ des Wandervogels verstand. Wie intensiv er neben seiner Freischargruppe noch Kontakt zu dieser Altwandervogel-Gruppe pflegte, kann nicht gesagt werden. Aber gerade der Altwandervogel hat damals die Teilnahme am Freideutschen Jugendtag abgelehnt. Vielleicht kannte man dort die Sympathien von Knud Ahlborn für Reformer und Reformbünde…
  46. Zum Meißnerfest und der Rolle der Wandervögel
  47. Gegenüber Versuchen der politischen Einflussnahme und Vereinnahmung suchten die Wandervogel-Verantwortlichen meist Neutralität zu wahren. So fand der Erste Freideutsche Jugendtag auf dem Hohen Meißner im Oktober 1913, für den der Wandervogel den Boden bereitet hatte, offiziell ohne seine Beteiligung statt.13
  48. Dass trotz der unsicheren bzw. ablehnenden Haltung der großen Wandervogelbünde doch ca. die Hälfte der Teilnehmer Wandervögel war, lag daran, dass der e.V. kurzfristig keine eigene Parallelveranstaltung wie der Altwandervogel geplant hatte. Viele Gruppen hatte längerfristig die Reise geplant und die Fahrkarten schon gekauft. Ein Teil der Teilnehmer
  49. 11
  50. 12
  51. 13
  52. Wandervogel…, Jahrgang 8, April, Heft 4, 1913, S. 119ff. ebenda, Walter Fischer, Berlin… http://de.wikipedia.org/wiki/Wandervogel aus diesem Bund wurde aber bereits auf diesem Treffen vom Charisma der MeißnerErklärung ergriffen.
  53. Der Jungwandervogel, der sich bis zuletzt an der Einladung offiziell beteiligt hatte, äußerte sich nachträglich teilweise spöttisch-kritisch zu all den vielen Idealisten, Sektierern und Reformern. Ein Berichterstatter schrieb: Es „kamen Leute und sagten, der politische Linksliberalismus wolle die Jugend fangen; die Linksliberalen freuten sich und glaubten’s vielleicht selber, und die „Nationalen kamen“, um die Jugend zu „retten“. Und wir, die Jugend – lachten. Kümmerten uns den Teufel um Politik. Gingen mit offenen Augen und Ohren hin zum Meißner-Fest, und hätte uns einer von Politik erzählt, dann wären wir singend von dannen gezogen… Wir haben uns zwar mühsam verschiedener Apostel erwehren müssen, die uns vor ihren Wagen spannen wollten, haben aber auch Männer kennen gelernt, die die Jugend achten und ihr helfen wollen um ihrer selbst willen“14
  54. Und der Komponist des Liedes „Wir wollen zu Land ausfahren…“, Kurt von Burkersroda, ebenfalls Jung-Wandervogel, schrieb nachhinein über das Hahnsteintreffen vorher: „Eine zeitlang ist nur Getümmel und Gesummel. Während dessen macht man Studien. Weiße und blaue Pludermützen,… ausgesprochene Zwiebacknasen, fantastisch-hagere Abstinenzlerund Rohköstlergesichter mit tief in den Höhlen liegenden Augen. Mancherlei Fähnlein hängen müde hernieder, und ich höre, wie vor mir einer erklärt: Dort sitzen Volkserzieher, die massive Erscheinung da ist Popert, dahinten sitzen die Himbeersaftstudenten, und die Fahne mit dem Rad, das ist das Banner des Serakreises!
  55. In verschiedenen Ecken feiert die Kleiderreform wilde Orgien mit Kitteln in allen Regenbogenfarben. Der E.V. läßt krampfhaft seine Storchnadel sehen, die anscheinend immer größere Formen annimmt. Und über all dem Mischmasch von Loden, Manchester, Bundtuch, Reformhemden, Umhängen und Touristenanzügen ein Meer von erwartungsvollen Augen…15
  56. Wenn auch eine Reihe Wandervogelgruppen nachträglich positiv vom Meißnertreffen 1913 berichtete, so bestand doch ein Teil der Wandervogelteilnehmer hauptsächlich nur aus Neugierigen, Verlegenheitsbesuchern, Lauwarmen, Kritikern und zog recht unbekümmert wieder nach Hause.
  57. „Wenig hat am Ende jene historische Tagung auf dem Hohen Meißner ergeben – nur ein Versprechen, das nie gehalten wurde, und eine Formel, die jedem etwas anderes bedeutete und die auf jeden Fall keine spezielle Jugendformel war. Für die Jungen und Mädchen im Wandervogel mag das nicht sehr von Belang gewesen sein: Lachend hatten sie auf dem Hohen Meißner zugesehen, wie Links und Rechts sich mühten, sie für ihre Zwecke zu mobilisieren“. 16
  58. Und kaum ein Jahr später zogen die Wandervögel voll nationaler Begeisterung in den 1. Weltkrieg und in die Schlacht bei Langemarck, obwohl doch das Meißnertreffen 1913 sich gegen den damaligen Hurra-Patriotismus mit Soldatenfeiern gewandt hatte.
  59. Zur charismatischen Wirkung der so genannten Meißner Formel
  60. 14
  61. Nach Jung-Wandervogel, Zeitschrift des Bundes für Jugendwandern „Jung-Wandervogel“, 3. Jahrg., Nov./Dez. 1913, Heft 11/12, S. 161; zit. nach http://buendische-vielfalt.de/?p=1545, Hansische Meißnerschnipsel – Wandervögel nah & fern, von der Hamburger Gilde Gorch Fock, wobei in dieser Textzusammenstellung eine Fotokopie der betreffenden Zeitschrift-Ausgabe enthalten ist, so dass man auch direkt von dieser Fotokopie zitieren kann.
  62. 15
  63. Ebenda, s. 161f; ebenfalls zit. nach http://buendische-vielfalt.de/?p=1545, Hansische Meißnerschnipsel – Wandervögel nah & fern, von der Hamburger Gilde Gorch Fock.
  64. 16
  65. Siehe http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/469190 Mitreißende Schlagworte, griffige Formulierungen, eingängige Merksätze machen mehr Geschichte und haben größere Wirkungen als dicke Bücher. Das gilt seit den Anfängen der Geschichte: „Es gibt nur 1 Gott, du sollst nicht andere Götter neben mir haben; Ich weiß, dass ich nichts weiß; Hier stehe ich, ich kann nicht anders; Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen; Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit; Proletarier aller Länder, vereinigt euch; Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“… In die Reihe diese wirkungsträchtigen Formulierungen gehört auch die Meißnerformel. Sie war es, die dem Treffen von 1913 erst Bedeutung und Geschichtlichkeit verschafft hat. Ohne diese „Formel“ würde sich heute kaum noch jemand dieses Treffens erinnern. Sie füllte eine Lücke aus, die damals im soziologischen Raum offen stand.
  66. Die erste Wirkung dieser Erklärung war, dass sie sukzessive den teilnehmenden und auch nicht teilnehmenden Bünden bewusst gemacht hat, dass die damaligen Bewegungen von Adoleszenten und jungen Erwachsenen in irgend einer Form direkt oder indirekt ein Sich-Abgrenzen, ein Protest gegen die damalige Gesellschaft waren oder wurden und dass man Reformen praktizierte, auch wenn man sie bewusst nicht geplant hatte. Diese griffige Erklärung, obwohl inhaltlich ein Allgemeinplatz, der für alle protestierenden Generationen der Geschichte Gültigkeit hat, begann allmählich sogar Pfadfindergruppen in ihren Bann zu ziehen. Und dass besonders die anfangs kritischen Wandervögel das Gedenken an Formel und Treffen von 1913 am Leben erhielten, ist schon ein beachtenswerter charismatischer Erfolg, eigentlich ein kleiner Treppenwitz der Weltgeschichte.
  67. Diese Formel war nicht nur griffig, sie beinhaltete auch Zwang und verlangte unbedingte Geschlossenheit. Die Schlussworte „Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein“ bedeuten eigentlich ein suggestives Einschwören auf diese Formulierung, die die Besucher des Treffens 1913 vorher noch gar nicht gekannt hatten, wobei hinter dem Hinweis auf „innere Freiheit“ auch Ziele von Bünden stehen konnten, die nicht jeder damals und heute akzeptieren möchte.
  68. Man muss sich diesen Vorgang einmal genau vor Augen halten. Da fühlten sich einige Freischärler unter Führung von Knud Ahlborn als Sprachrohr aller Teilnehmer dieses Treffens und fordern entschiedenes Eintreten aller für dasjenige, was sie während einer Wanderung ausformulieret hatten. Das war im Grunde ein gewisser Fraktionszwang, eine Bevormundung.
  69. Wäre diese Meißner-Erklärung in einem demokratischen Formulierungsprozess entstanden, wäre sie real eine Erklärung der damals Versammelten gewesen. So war sie eine Forderung weniger, die aber durch das Charisma ihrer Worte nachträglich immer mehr Bünde hinter sich versammelte.
  70. Diese Formel hat die Wandervögel im Zuge des Wandels des soziologischen Begriffes Jugend erst zu einer Jugendbewegung im Sinne von Nichterwachsenen gemacht. Denn das Wort und der Begriff „Jugend“ sind in der Formel geblieben, der Sinn von Jugend hat sich aber geändert. Das hat längere Zeit die Rolle von Älteren in den bündischen Gruppierungen verunsichert. Erst in der Gegenwart beginnt sich, auch durch den demografischen Wandel, das Selbstverständnis einer großen bündischen Familie über alle Altersstufen hinweg durchzusetzen.
  71. Dass sich diese Erklärung auf Wandervögel und Pfadfinder ausweitete, hängt auch damit zusammen, dass die Leitideen von diesen Bünden nicht soziologisch kritisch und reichhaltig genug sind, um auch für darüber hinaus Interessierte einen Heimatraum zu bieten. Die Wandervogelromantik erschöpft sich irgendwann einmal und die Pfadfindertechniken hat man irgendwann einmal gelernt…
  72. In dieser Formel fand man einen gedanklichen Anstoß für übergeordnete Ideen. Welche vielfältigen Assoziationen eröffnen sich bei den Worten „nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung“… Sie motivieren dazu, unbeirrt dem zu folgen, selbstüberzeugt das umzusetzen, was man für richtig hält. Es ist im Grunde ein Freibrief für alternative Ziele und Lebensformen jeglicher Art schon in jungen Jahren.
  73. Vorschlag für einen zurückhaltenderen Umgang mit der Meißnertradition und der Meißnerformel
  74. Charismatische Sätze, Erklärungen, Aussagen, Formeln können initiieren, sammeln und stärken, sie können aber auch negative Wirkungen entfalten, indem sie z.B. historische Zusammenhänge vereinfachen und Pluralismus gefährden.
  75. Zugegeben: Für Bündische, die von der Meißnererklärung 1913 begeistert waren und die teilweise verzückt auf diese Formel starrten, ist es unerheblich, ob ihre Gruppierungen diese Erklärung inhaltlich von Anfang an unterstützten oder erst allmählich in ihren Sog gerieten.
  76. Aber die Sorge vor einer Beeinträchtigung von Pluralismus sollte man etwas ernster nehmen. Die Wandervogelbewegung entwickelte sich bereits kurz nach ihrer Gründung pluralistisch. Pluralismus kann eine Bereicherung sein. Die charismatische Formulierung dieser Meißner-Erklärung und besonders ihre Forderung nach Geschlossenheit hinter ihrer Aussage kann aber Pluralismus beeinträchtigt, indem einmal Bünde, die nicht allen Zielen anderer Bünde zustimmen, in ihrem individuellen Selbstverständnis verunsichert werden und zum anderen, indem Bestrebungen entstehen, unliebsame und nichtkonforme Bünde von dieser beschworenen gemeinsamen Plattform auszuschließen. Deswegen sollte man den Einfluss dieser Erklärung etwas zurück fahren.
  77. Für das 100jährige Gedächtnistreffen im Herbst 2013 könnte das konkret bedeute:
  78. – Dass man auf die Suche nach einer ähnlich charismatischen Erklärung verzichtet und sich höchstens auf eine einfache Aussage beschränkt oder noch besser jedem teilnehmenden Bund eine eigene Erklärung zubilligt.
  79. – Dass man kein gemeinsames Meißnerlager 2013 anstrebt, sondern jedem beteiligten Bund ein eigenes Lager am Meißner zuspricht und nur zu zentralen Veranstaltungen an einem Ort zusammen kommt. Vielleicht kann man sich auch in dieser Form gegenseitig besser ertragen, wenn man nicht für die Freiheit der Ziele der anderen Gruppen eintreten muss.
  80. – Dass man aufgibt, die Welt irgendwie entscheidend zu reformieren und verbessern zu wollen, denn das ist nach allen Erfahrzungen der Geschichte leider nicht möglich. Es ist nur sinnvoll, dass jeder Bund versucht, um sich kleine Inseln des Vernünftigen und Guten zu schaffen, so wie Alexej Stachowitsch das fordert.
  81. Denn das Meißnertreffen von 1913 hat keinen Kult-Charakter für die Wandervogelbewegung gehabt und die Meißnerformel von 1913 war keine Kult-Formel und kein KultAusdruck für die Wandervogelbewegung und ist sie bis heute nicht. Es gibt nur nach dem 2. Weltkrieg zunehmende Strömungen, sie dazu zu machen.
  82. Einige Literaturhinweise
  83. http://buendische-vielfalt.de, z.B. zwölfdreizehnschnipseleien januar 13 und märz 13, hansische Meißnerschnipsel usw. Auf dieser Webseite sind in den letzten Monaten interessante Quellen zum Meißnertreffen 1913 zusammen getragen worden. Die konkret benutzten Stellen sind als Fußnoten angegeben.
  84. – Wandervogel, Monatsschrift für deutsches Jugendwandern, verschiedene Hefte des Jahrgangs 1913 – Helwig, Werner, Die blaue Blume des Wandervogels, Deutscher Spurbuchverlag, überarbeitete Neuausgabe, hrsg. Von Walter Sauer, 1998.
  85. – Speiser, Heinz, 1977: Hans Breuer – Wirken und Wirkungen, eine Monografie, Burg Ludwigstein.
  86. – Wurm, Helmut 1990: Vorarbeiten zu einer interdisziplinären Untersuchung über die Körperhöhenverhältnisse der Deutschen im 19. Jahrhundert und der sie beeinflussenden Lebensverhältnisse, 2 Teile. Teil 1: Einleitende Begründung, quellenkundliche Probleme, quellenkundliche Vorarbeiten für die politischen Einzelräume von Norddeutschland bis Württemberg. Teil II: Quellenkundliche Vorarbeiten für Baden, Elsaß-Lothringen, Bayern, das gesamte Deutsche Reich, zusammenfassende Auswertung, ernährungshistorische Hinweise, Schrifttum. in: Gegenbaurs morphologisches Jahrbuch, Bd. 136, S. 405-429 und S. 503-524.
  87. (In dieser Untersuchung waren nur die Wachstumsverhältnisse ab 18 Jahren betrachtet worden. Es wurden die damaligen Messungen an Turnern, Soldaten, Studenten usw. ausgewertet, wobei immer wieder die Klassifikation Turnerjugend, soldatische Jugend, studentische Jugend usw. auffiel)
  88. – Eine Internet-Suche (z. B. in http://de.academic.ru; wikipedia; scout-o-wiki, buendische-vielfalt) zu den Schlagworten „Jugendbewegung, Altwandervogel, Wandervogel e.V., Meißner 1913, Freideutscher Jugendtag, Meißnererklärung 1913, Knud Ahlborn, Gustav Wyneken, akademische Freischar, Bund deutscher Wanderer“ usw. Die konkret benutzten Stellen sind als Fußnoten angegeben.
  89. – Siehe auch: Hoher Meissner 1913. Der Erste Freideutsche Jugendtag in Dokumenten, Deutungen und Bildern, hrsg. von Winfried Mogge und Jürgen Reulecke, WochenschauVerlag, 1988, 422. Seiten.
  90. (Verfasst von Helmut Wurm, März 2013. Der Hinweis und der Terminus, dass die so viel zitierte Meissnerformel „keinen Kult-Charakter“… für die Wandervogelbewegung habe, stammt von Alexej Stachowitsch, Axi, der das in einem telefonischen Gespräch mit dem Verfasser über diesen Beitrag ergänzend knapp 1 Woche vor seinem Tod so formulierte. )erdint.

Beitrag zur Entmythologisierung von Meissnertreffen und Meissnerformel

1913

(Der derzeit letzte Bearbeitungsstand dieses Kurzbeitrages ist der 8. 4. 013)

Dieser Beitrag ist kein konformer Beitrag zum Chor begeisterten Meißnertreffen-Freunde, sondern ein Querdenker-Beitrag, der manche Sichtweise und Entwicklung hinterfragt. Er möchte begründen, weshalb das Meißnertreffen von 1913 keinen Kult-Charakter für die Wandervögel gehabt hat und weshalb die Meißnerformel von 1913 keine Kult-Formel und kein Kult-Ausdruck für die Wandervogelbewegung war und bis heute ist.

  1. Anfangs einige Begriffs-Richtigstellungen:
  1. Unter Jugend verstand man um 1900 eine andere Altersstufe als heute. Der Terminus „Jugend“ bezeichnete die Altersspanne etwa zwischen 16 bis 25 Jahren, also die Altersstufe Adoleszenz bis junge Erwachsene im heutigen Sprachgebrauch. Man sprach damals von gymnasialer Jugend, studentischer Jugend, akademischer Jugend, Turnerjugend, soldatischer Jugend… Die Altersstufe davor waren die Knaben und Mädchen. Der frühe Wandervogel war also keine Jugendbewegung im heutigen Sinne, sondern eine Bewegung von Adoleszenten und jungen Erwachsenen, die allerdings Jugendliche ab 14-16 Jahren um sich sammelten.
  1. Der frühe Wandervogel war primär keine Reformbewegung und keine Protestbewegung gegen die Erwachsenen, sondern primär eine unpolitische Entdeckungsbewegung der Natur außerhalb der Stadtballungen und eine Wanderbewegung hinaus in die Romantik. Die frühe Wandervogelbewegung benötigte sogar die Hilfen der Erwachsenen. Ohne Erwachsenenhilfe (z.B. einige Lehrer in Steglitz und die Eufrat-Mitglieder) hätte es die Gründung und den Aufbau der Wandervogelbewegung nicht gegeben.

Es ist vielen heute Lebenden schwer, sich die beginnende Fluchtbewegung aus den StadtBallungen ab dem Ende des 19. Jhs. zu vergegenwärtigen. Die Menschen waren vorher in den Siedlungen weitgehend gefangen gewesen. Erst der Ausbau des Eisenbahnnetzes ermöglichte die Erschließung der weiteren Stadtumgebungen und Deutschlands für größere Gruppenreisen. Um 1900 hatte das Eisenbahnnetz eine solche Dichte erreicht, dass man leicht und billig in jede Richtung fahren konnte. Es öffnete für die Wandervogelgruppen die Tore in die weite Welt. Ab den Wandervogelanfängen liest man in Fahrtengberichten, dass man sich an Bahnhöfen traf, mit dem Zug in die Fahrtengegend fuhr und die Fahrten an Bahnhöfen beendete. Es war nicht die Flucht vor dem Zwang der damaligen Erziehung, die den Wandervogel entstehen ließ. Reformfanatiker, damals wie heute, wollen das nur der Wandervogelgeschichte unterschieben.

Um das Selbstverständnis des Wandervogels und seine Motivationen zu verdeutlichen, sollen einige Beiträge aus der Monatsschrift des Einigungsvereins „Wandervogels e.V.“ aus dem Jahr 1913 zitiert werden:

Rudolf Sievers 1 beantwortete die Frage „Was ist der Wandervogel?“ so: Der Wandervogel will laut Satzung „Erstens… das Wandern der deutschen Jugend fördern, den Sinn für das Naturschöne wecken und der Jugend Gelegenheit geben, Land und Leute der deutschen Heimat aus eigener Anschauung kennen zu lernen“…

1

Sievers, Schriftleiter dieser Zeitschrift in einem Artikel, der bewusst als Aussage für die geplante Festschrift des bevorstehenden „Freideutschen Jugendtages“ gemeint war; in: Wandervogel, Monatsschrift für deutsches Jugendwandern, Jahrgang 8, Oktober 1913, Heft 10, S. 278. Etwas dichterischer beschrieb Hans Breuer 2 die Fluchtbewegung der frühen Wandervögel aus den Städten und gleichzeitig die Wandlung vom wilden Vaganten-Wanderstil zum kulturromantischen Stil: „Und sie fluchten ihrer Großstadt, verhöhnten, was noch an Heiligem an ihr klebte. Sie kürten sich Armut, Not und Entbehrungen, stürmten hinaus in wilde Klüfte und Wälder und tagten dort in der Einsamkeit. Das war eine wilde, schöne Zeit… Aber mählich, wie sie reifer wurden, zog’s sie, die bäuerlichen Stuben zu schmecken, durch Gässchen altfränkischer Städtchen zu schweifen, sie sahen den feierlichen Ernst wuchtiger, rundbogiger Münster, die ragenden Dienste gotischer Kathedralen und spürten einen Hauch von ihrem Genius“.

Und der neu gewählte Bundesführer 3 des neu gegründeten Einigungsbundes e.V. warnte im selben Heft vor Reformern auf diesem geplanten Freideutschen Treffen, vor denen man Vorsicht haben müsse. „Aber da kommen aus dieser Jugend selbst einige hervor und raunen und rauschen den anderen heimliche Dinge ins Ohr. Und sagen: Das Wandern und Singen an sich ist gar nichts wert. Wir müssen eine neue Jugendkultur schaffen, darauf kommt alles an… Ich bin auch anderen begegnet, Jünglingen mit schmachtenden Augen, denen war das Herumlaufen mit nackten Beinen und bloßem Kopf und das Tragen langer Haare wichtiger als die ganze Wanderei… Wieder andere habe ich getroffen, die wollten, dass der Wandervogel… sich… mit allen möglichen anderen Verbänden, die auf Lebenserneuerung drängen, zu gemeinsamer Arbeit zusammenschließe,… als ob das nicht der Tod einer Jugendbewegung sein müsste… Unsere Liebe sei Wald und Heide, Berg und Strom. Unser Ruf sei derselbe… Hinaus in die Ferne“.

Und im nächsten Heft 11 antwortete Edmund Neuendorff auf den Antrag von Wandervogelführern, Teilnehmern am gerade zurückliegenden Meißnertreffen, der Meißnererklärung beizutreten: Der Antrag werde der nächsten Bundesversammlung des e.V. vorgelegt, „Aber wir im Wandervogel dürfen nie und nimmer vergessen, dass unsere erste und ernsteste und heiligste Aufgabe sein muss: Förderung des Wanderns und der von selbst aus ihm erblühenden und durch Lebenskräfte notwendig mit ihm verbunden äußeren und inneren Kultur deutscher Jugend.“ 4

Für die Wandervogelbewegung passte zusammenfassend gut die spontane Formulierung von Muck-Lamberty (Friedrich Lamberty, genannt Muck) 1919: „Unsere Fahrt geht ins Blaue…“

Natürlich gab es auch Wandervögel, die froh waren, der damaligen Erziehungswelt und Familienwelt entweichen zu können. Aber das war nicht die primäre Intention der neuen Bewegung. 5 Und es gab auch früh Versuche, diese neue Bewegung zu ideologisieren. Aber es war hauptsächlich die harmlos-naive Ideologie von der Suche nach der blauen Blume, die aus der Romantik übernommen wurde, die man dem Wandervogel überstülpte.

Diese ideologisch naiv-harmlose Wandervogelbewegung war z.B. dem Reformpädagogen Wyneken nicht ernsthaft genug. Er meinte, der Wandervogel habe in Lied und Tanz einen Ausdruck jugendlichen Frohsinns gefunden, sich damit aber auch bereits zufrieden gegeben und habe es sich wohl sein lassen. Die ganze künstlerische Einstellung des Wandervogels sei auf bloßen Stimmungsgenuss gerichtet, und zwar auf einen ziemlich bequemen und billigen Genuss.6

2

Hans Breuer, ehemaliger Bundesführer des Wandervogels D.B., der als größter Teilbund im e.V. aufgegangen war; ebenda S. 283.

3 Edmund Neuendorff, Schulleiter; ebenda S. 302f. 4 Edmund Neuendorff, Wandervogel…, Heft 11, S. 332f. 5

Diesbezüglich sollte man die weitergehenden Behauptungen von Blüher mit Zurückhaltung zur Kenntnis nehmen, denn überall dort, wo er interpretiert, ist große Zurückhaltung geboten.

6

Nach http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/, Artikel zu Gustav Wynneken, 556277#sel=20:1,20:58 II. Die Einladung zum Meißnertreffen

  1. Der Beginn des Vorhabens ist etwa Ostern 1913 zu datieren. Denn damals bekam die Idee von einem alternativen Jahrhundertfest einen wesentlichen Anstoß. Denn auf dem Bundestag der Deutschen Akademischen Freischar (DAF) in Jena machte ein Gast, welcher Mitglied des Deutschen Bundes abstinenter Studenten (DBaSt) war, den Vorschlag eine würdige, insbesondere alkoholfreie, Gedenkveranstaltung zu Ehren der Völkerschlacht bei Leipzig durchzuführen. Dieser Vorschlag wurde in den Reihen der DAF mit Begeisterung aufgenommen und fortan blieb die DAF die treibende Kraft hinter den Vorbereitungen des Ersten Freideutschen Jugendtages. Man nahm anschließend Verbindung zu anderen Bünden und Studentenverbindungen auf, auch zu den damaligen Wandervogelbünden. 7 Der erste historische Anschub zu diesem Alternativtreffen ging also nicht von den Wandervögeln aus, sondern von einer Bundesrichtung, die – durchaus nachvollziehbar – ein Treffen von jungen Erwachsenen und insbesondere von Studenten vorschlug, dass sich nicht in den damaligen Maßstab einordnete, der den deutschen Mann nach seiner Fähigkeit maß, wie viel Alkohol er vertragen konnte. Dieser enge Ideengeber-Kreis suchte nun nach Bünden, die ein solches Treffen mit gestalten würden. Die Mehrzahl der hinzu geworbenen und besonders aktiven Bünde waren kleinere Reformgruppen mit verschiedenen anderen Zielsetzungen, daneben 2 Wandervogelbünde.

Ein erstes Treffen interessierter Bünde zur Vorbereitung eines solchen Treffens fand Pfingsten 1913 in Jena statt. An diesem Treffen nahmen 13 Bünde teil und hier wurden Name, Ort und grober Ablauf des Festes festgelegt. Der Name „Freideutscher Jugendtag“ orientierte sich nach einem Vorschlag des Urwandervogels Friedrich Wilhelm Fulda, dem damaligen Verantwortlichen der Wandervogel-Führerzeitschrift. Den Hohen Meißner als Ort schlug Christian Schneehagen vor, Mitglied der Deutschen Akademischen Freischar und späterer Mitorganisator des Meißnertreffens.8

Der erste Aufruf im Sommer 1913 erschien in der Wandervogel Führerzeitung (Heft 7, 1913) und wurde im Namen der Deutschen Akademischen Freischar von Knud Ahlborn unterschrieben. Der zweite Aufruf erschien kurze Zeit später im Gaublatt „Nordmark“ des Wandervogel e. V. (Heft 4, 1913) und war erstmalig von allen veranstaltenden Bünden unterschrieben. Als Festleitung wurde Christian Schneehagen angegeben.

Folgende Bünde schlossen sich zur Vorbereitung und Einladung zusammen:

Deutsche Akademische Freischar, Deutscher Bund abstinenter Studenten, Deutscher Vortruppbund, Bund deutscher Wanderer, Wandervogel e.V., Jungwandervogel, Österreichischer Wandervogel, Germania – Bund abstinenter Studenten, Freie Schulgemeinde Wickersdorf, Bund für freie Schulgemeinden, Landschulheim am Solling, Akademische Vereinigungen Marburg und Jena, Serakreis Jena, Burschenschaft Vandalia Jena.9

  1. Zum Meißnertreffen 1913 hat es mehrere Einladungen gegeben. 10 Die letzte Einladung zum Meißnertreffen, weitgehend formuliert von Gustav Wyneken, war eine pathetisch-

7

Eng angelehnt an die Mitteilung in http://buendische-vielfalt.de/?p=3353 und http://buendischevielfalt.de/?p=3460, die wiederum als Quelle angeben: Johannes Jacobs (kugel), Was war das – das Meißnerfest 1913?, Kiel 1987, Seite 42-43.

8

http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Freideutscher_Jugendtag#cite_note-1 9

http://buendische-vielfalt.de/?p=933, siehe dort: Was ließen jene… #2 – Aufrufe zum Freideutschen Jugendtag… ; 10

http://www.digam.net/dokument.php?ID=9247&PHPSESSID =54853573ed0494d618a5b774685e474f (=Digitales Archiv Marburg, DigAM); Siehe auch die ausgewählten Quellen im Eisbrecher, http://www.der-eisbrecher.de/cont_files/df_meissner.pdf und; http://buendische-vielfalt.de/?p=3117; http://buendische-vielfalt.de/?p=1450; http://buendische->

vielfalt.de/?p=933 rhetorisch-suggestive Meisterleistung eines Krisen-Manifestes zur angeblichen Situation der deutschen Jugend um 1900.

Formulierungen wie „Die deutsche Jugend steht an einem Wendepunkt…, träge Gewohnheiten der Alten und den Geboten einer hässlichen Konvention,… Wir wollen auch weiter getrennt marschieren, aber in dem Bewusstsein, dass uns ein Grundgefühl zusammen schließt, so dass wir Schulter an Schulter gegen die gemeinsamen Feinde kämpfen,… Möge von ihm eine neue Zeit deutschen Jugendlebens anheben“ suggerieren einen Jugendnotstaat und negieren, dass damals die Erziehung durch Eltern und Schulen in vielen Fällen besser war als die heute häufige Nicht-Erziehung und schlechte Erziehung durch viele Medien. Die damalige Erziehung war zugegeben etwas überbehütet, zu konventionell, aber zu einer allgemeinen Dramatik war kein Anlass. Diese Sorge ist eher für die Gegenwart berechtigt.

  1. Zusammen mit den früheren Aufrufen zu einem Meißnertreffen, jeweils formuliert von Knud Ahlborn, Christian Schneehagen bzw. W. Groothoff, wird die Absicht erkennbar, dass eine Minderheit von Reformern und Reformgruppen mit Hilfe von zahlenmäßig größeren Verbänden, z.B. dem Wandervogel, ihre Reformvorstellungen und Ziele in die Gesellschaft tragen wollte. Der Wandervogel war als zahlenmäßig starke Hilfstruppe geplant, die ideelle Leitung sollte aber bei den Reformern bleiben.

  1. Die Formulierung „Die“ deutsche Jugend… suggeriert, dass hier die gesamte deutsche Jugend angesprochen würde. In Wirklichkeit betraf das nur die Jugend der bürgerlichen Sozialschichten. Die bäuerliche Jugend, damals noch der weitaus größte Anteil, hatte weder Zeit noch Gelegenheit für Freiräume. Die zunehmende Arbeiterjugend hatte andere Sorgen, nämlich die finanzielle schmale Basis und überlange Arbeitszeiten, und war größtenteils in den sozialistischen Jugendorganisationen erfasst. Für obige Reformideen, für pädagogische Freiräume und auch für die notwendige Zeit dazu kam nur die bürgerliche Jugend der mittleren und höheren Sozialschichten in Frage. Diese dürften damals kaum mehr als ca. 10 % der damaligen Gesamtjugend insgesamt umfasst haben.

III. Zu den tragenden Kräften des Meißnertreffens

Das Meißnertreffen 1913 wurde primär geprägt von der DAL, der Deutschen Akademischen Freischar. Diese Bewegung war von dem zu Reformen neigenden Knud Ahlborn und seinem Freund Hans Harbeck 1907 in Göttingen gegründet worden und als eine Weiterführung der Wanderverein-Bewegung im Bund Deutscher Wanderer speziell für die Sozialschicht der Studenten.

Knut Ahlborn hatte in Hamburg 1905 als 17-Jähriger den ersten Wanderverein gegründet. Dieser Hamburger Wanderverein beschrieb sich als „Selbsterziehungsverein höherer Schüler“. Der daraus entstandene Bund Deutscher Wanderer formulierte sein Ziel so: „Vom Wanderer zum Menschen, das ist unsere Erkenntnis und unser Ziel“. Damit war seine Zielsetzung pädagogischer Art und stand in der pädagogischen Tradition, die Goethe in seinem damals viel beachteten Erziehungsroman „Wilhelm Meister“ ausgesprochen hatte, dass nämlich der Mensch nur durch Wandern und Reisen zur inneren Reife gelangen könne.

Die erste Deutsche Akademische Freischar (DAL) in Göttingen hatte bewusst statt der ursprünglich geplanten Bezeichnung „Akademischer Wanderverein“ den kämpferischeren Namen Akademische Freischar gewählt. In der Gründungsurkunde beschrieb man sich als „Kampfbund zur Reform des Deutschen Studententums“. Man verstand sich als Alternative zu den traditionellen Studentenverbindungen und war gegen das studentische Fechten und Trinken und hielt weiterhin am goethischen Ideal der Menschenbildung zum Guten und Schönen fest. 1913 formulierte die Akademischer Freischar eines ihrer Ideale so: „Alle Veranstaltungen der Freischar haben Gesundheit und Schönheit zum obersten Gesetz“. Damit war die Akademische Freischar keine studentische „Roverstufe“ für Wandervögel, sondern eine elitäre und letztlich pädagogisch orientierte Bewegung, die mit dem viel „naiveren“ Wandervogel nur das Wandern, aber nicht die Zielsetzungen gemeinsam hatte.

Es war auch nicht so, dass die älteren Wandervögel automatisch oder hauptsächlich als Studenten in die örtlichen Freischargruppen eintraten. In Heft 4 der Zeitschrift des e.V. Wandervogel… vom April 1913 gab es dazu eine kleine Diskussion in Form von 4 Lesermeinungen. 11 Eine Zuschrift empfahl den Eintritt studierender Wandervögel in die Freischar, weil die Ziele studentischer Verbindungen über die Ziele des Wandervogels hinaus gingen (z.B. Stellungnahmen zu verschiedenen Kulturfragen) und die Wandervogelziele nicht mit solchen studentischen Zielen vermengt werden dürften. Der Schreiber bedauerte gleich-zeitig, dass sich bisher so wenige studierende Wandervögel der Freischar oder vergleich-baren studentischen Korporationen angeschlossen hätten und schlug vor, offiziell für solche Übergänge nach der Schüler-Wandervogelzeit zu werben. „Ich halte es für das beste, die Wandervögel immer wieder auf die Freischar und ähnliche Verbindungen hinzuweisen. Dass sich bis jetzt so wenige angeschlossen haben, mag zum Teil daran liegen, dass diese Verbindungen noch zu neu und unbekannt sind… Dazu kommt, dass er seine Bekannten meistens im Wandervogel hat und nicht in der Freischar.“ 12

Die anderen 3 Leserzuschriften hielten durchaus studentische Wandervogelgruppen als Gruppierung für die älter gewordenen Wandervögel für sinnvoll und verwiesen auf schon bestehende akademische Wandervogelgruppen. Auch die studentische Wandervogelgruppe um Hans Breuer in Heidelberg lebte ihre Wandervogeltradition als weitgehend akademische Gruppierung, die Heidelberger Pachanthey, in Heidelberg weiter.

Knud Ahlborn war zusammen mit einigen anderen Freunden aus der Freischar der Hauptinitiator des Freideutschen Jugendtages auf dem Meißner und der so genannten Meißnerformel, wobei Ideengeber für die Formulierungen vor ihm möglich sind. Knud Ahlborn war von seiner Anlage her ein Mensch, für den Aspekte der Menschenbildung von zentraler Bedeutung waren und der in gewisser Weise lebenslänglich zu Idealisierungen, Reformen und Neugründungen neigte.

Dass sich Knud Ahlborn in Göttingen kurz vor seiner Gründung der Akademischen Freischar der dortigen Altwandervogel-Gruppe angeschlossen hatte, hat nicht die Bedeutung, dass er die Freischar als „Rovergruppe“ des Wandervogels verstand. Wie intensiv er neben seiner Freischargruppe noch Kontakt zu dieser Altwandervogel-Gruppe pflegte, kann nicht gesagt werden. Aber gerade der Altwandervogel hat damals die Teilnahme am Freideutschen Jugendtag abgelehnt. Vielleicht kannte man dort die Sympathien von Knud Ahlborn für Reformer und Reformbünde…

  1. Zum Meißnerfest und der Rolle der Wandervögel

Gegenüber Versuchen der politischen Einflussnahme und Vereinnahmung suchten die Wandervogel-Verantwortlichen meist Neutralität zu wahren. So fand der Erste Freideutsche Jugendtag auf dem Hohen Meißner im Oktober 1913, für den der Wandervogel den Boden bereitet hatte, offiziell ohne seine Beteiligung statt.13

Dass trotz der unsicheren bzw. ablehnenden Haltung der großen Wandervogelbünde doch ca. die Hälfte der Teilnehmer Wandervögel war, lag daran, dass der e.V. kurzfristig keine eigene Parallelveranstaltung wie der Altwandervogel geplant hatte. Viele Gruppen hatte längerfristig die Reise geplant und die Fahrkarten schon gekauft. Ein Teil der Teilnehmer

11

12

13

Wandervogel…, Jahrgang 8, April, Heft 4, 1913, S. 119ff. ebenda, Walter Fischer, Berlin… http://de.wikipedia.org/wiki/Wandervogel aus diesem Bund wurde aber bereits auf diesem Treffen vom Charisma der MeißnerErklärung ergriffen.

Der Jungwandervogel, der sich bis zuletzt an der Einladung offiziell beteiligt hatte, äußerte sich nachträglich teilweise spöttisch-kritisch zu all den vielen Idealisten, Sektierern und Reformern. Ein Berichterstatter schrieb: Es „kamen Leute und sagten, der politische Linksliberalismus wolle die Jugend fangen; die Linksliberalen freuten sich und glaubten’s vielleicht selber, und die „Nationalen kamen“, um die Jugend zu „retten“. Und wir, die Jugend – lachten. Kümmerten uns den Teufel um Politik. Gingen mit offenen Augen und Ohren hin zum Meißner-Fest, und hätte uns einer von Politik erzählt, dann wären wir singend von dannen gezogen… Wir haben uns zwar mühsam verschiedener Apostel erwehren müssen, die uns vor ihren Wagen spannen wollten, haben aber auch Männer kennen gelernt, die die Jugend achten und ihr helfen wollen um ihrer selbst willen“14

Und der Komponist des Liedes „Wir wollen zu Land ausfahren…“, Kurt von Burkersroda, ebenfalls Jung-Wandervogel, schrieb nachhinein über das Hahnsteintreffen vorher: „Eine zeitlang ist nur Getümmel und Gesummel. Während dessen macht man Studien. Weiße und blaue Pludermützen,… ausgesprochene Zwiebacknasen, fantastisch-hagere Abstinenzlerund Rohköstlergesichter mit tief in den Höhlen liegenden Augen. Mancherlei Fähnlein hängen müde hernieder, und ich höre, wie vor mir einer erklärt: Dort sitzen Volkserzieher, die massive Erscheinung da ist Popert, dahinten sitzen die Himbeersaftstudenten, und die Fahne mit dem Rad, das ist das Banner des Serakreises!

In verschiedenen Ecken feiert die Kleiderreform wilde Orgien mit Kitteln in allen Regenbogenfarben. Der E.V. läßt krampfhaft seine Storchnadel sehen, die anscheinend immer größere Formen annimmt. Und über all dem Mischmasch von Loden, Manchester, Bundtuch, Reformhemden, Umhängen und Touristenanzügen ein Meer von erwartungsvollen Augen…15

Wenn auch eine Reihe Wandervogelgruppen nachträglich positiv vom Meißnertreffen 1913 berichtete, so bestand doch ein Teil der Wandervogelteilnehmer hauptsächlich nur aus Neugierigen, Verlegenheitsbesuchern, Lauwarmen, Kritikern und zog recht unbekümmert wieder nach Hause.

„Wenig hat am Ende jene historische Tagung auf dem Hohen Meißner ergeben – nur ein Versprechen, das nie gehalten wurde, und eine Formel, die jedem etwas anderes bedeutete und die auf jeden Fall keine spezielle Jugendformel war. Für die Jungen und Mädchen im Wandervogel mag das nicht sehr von Belang gewesen sein: Lachend hatten sie auf dem Hohen Meißner zugesehen, wie Links und Rechts sich mühten, sie für ihre Zwecke zu mobilisieren“. 16

Und kaum ein Jahr später zogen die Wandervögel voll nationaler Begeisterung in den 1. Weltkrieg und in die Schlacht bei Langemarck, obwohl doch das Meißnertreffen 1913 sich gegen den damaligen Hurra-Patriotismus mit Soldatenfeiern gewandt hatte.

  1. Zur charismatischen Wirkung der so genannten Meißner Formel

14

Nach Jung-Wandervogel, Zeitschrift des Bundes für Jugendwandern „Jung-Wandervogel“, 3. Jahrg., Nov./Dez. 1913, Heft 11/12, S. 161; zit. nach http://buendische-vielfalt.de/?p=1545, Hansische Meißnerschnipsel – Wandervögel nah & fern, von der Hamburger Gilde Gorch Fock, wobei in dieser Textzusammenstellung eine Fotokopie der betreffenden Zeitschrift-Ausgabe enthalten ist, so dass man auch direkt von dieser Fotokopie zitieren kann.

15

Ebenda, s. 161f; ebenfalls zit. nach http://buendische-vielfalt.de/?p=1545, Hansische Meißnerschnipsel – Wandervögel nah & fern, von der Hamburger Gilde Gorch Fock.

16

Siehe http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/469190 Mitreißende Schlagworte, griffige Formulierungen, eingängige Merksätze machen mehr Geschichte und haben größere Wirkungen als dicke Bücher. Das gilt seit den Anfängen der Geschichte: „Es gibt nur 1 Gott, du sollst nicht andere Götter neben mir haben; Ich weiß, dass ich nichts weiß; Hier stehe ich, ich kann nicht anders; Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen; Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit; Proletarier aller Länder, vereinigt euch; Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“… In die Reihe diese wirkungsträchtigen Formulierungen gehört auch die Meißnerformel. Sie war es, die dem Treffen von 1913 erst Bedeutung und Geschichtlichkeit verschafft hat. Ohne diese „Formel“ würde sich heute kaum noch jemand dieses Treffens erinnern. Sie füllte eine Lücke aus, die damals im soziologischen Raum offen stand.

  1. Die erste Wirkung dieser Erklärung war, dass sie sukzessive den teilnehmenden und auch nicht teilnehmenden Bünden bewusst gemacht hat, dass die damaligen Bewegungen von Adoleszenten und jungen Erwachsenen in irgend einer Form direkt oder indirekt ein Sich-Abgrenzen, ein Protest gegen die damalige Gesellschaft waren oder wurden und dass man Reformen praktizierte, auch wenn man sie bewusst nicht geplant hatte. Diese griffige Erklärung, obwohl inhaltlich ein Allgemeinplatz, der für alle protestierenden Generationen der Geschichte Gültigkeit hat, begann allmählich sogar Pfadfindergruppen in ihren Bann zu ziehen. Und dass besonders die anfangs kritischen Wandervögel das Gedenken an Formel und Treffen von 1913 am Leben erhielten, ist schon ein beachtenswerter charismatischer Erfolg, eigentlich ein kleiner Treppenwitz der Weltgeschichte.
  1. Diese Formel war nicht nur griffig, sie beinhaltete auch Zwang und verlangte unbedingte Geschlossenheit. Die Schlussworte „Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein“ bedeuten eigentlich ein suggestives Einschwören auf diese Formulierung, die die Besucher des Treffens 1913 vorher noch gar nicht gekannt hatten, wobei hinter dem Hinweis auf „innere Freiheit“ auch Ziele von Bünden stehen konnten, die nicht jeder damals und heute akzeptieren möchte.

Man muss sich diesen Vorgang einmal genau vor Augen halten. Da fühlten sich einige Freischärler unter Führung von Knud Ahlborn als Sprachrohr aller Teilnehmer dieses Treffens und fordern entschiedenes Eintreten aller für dasjenige, was sie während einer Wanderung ausformulieret hatten. Das war im Grunde ein gewisser Fraktionszwang, eine Bevormundung.

Wäre diese Meißner-Erklärung in einem demokratischen Formulierungsprozess entstanden, wäre sie real eine Erklärung der damals Versammelten gewesen. So war sie eine Forderung weniger, die aber durch das Charisma ihrer Worte nachträglich immer mehr Bünde hinter sich versammelte.

  1. Diese Formel hat die Wandervögel im Zuge des Wandels des soziologischen Begriffes Jugend erst zu einer Jugendbewegung im Sinne von Nichterwachsenen gemacht. Denn das Wort und der Begriff „Jugend“ sind in der Formel geblieben, der Sinn von Jugend hat sich aber geändert. Das hat längere Zeit die Rolle von Älteren in den bündischen Gruppierungen verunsichert. Erst in der Gegenwart beginnt sich, auch durch den demografischen Wandel, das Selbstverständnis einer großen bündischen Familie über alle Altersstufen hinweg durchzusetzen.

Dass sich diese Erklärung auf Wandervögel und Pfadfinder ausweitete, hängt auch damit zusammen, dass die Leitideen von diesen Bünden nicht soziologisch kritisch und reichhaltig genug sind, um auch für darüber hinaus Interessierte einen Heimatraum zu bieten. Die Wandervogelromantik erschöpft sich irgendwann einmal und die Pfadfindertechniken hat man irgendwann einmal gelernt…

In dieser Formel fand man einen gedanklichen Anstoß für übergeordnete Ideen. Welche vielfältigen Assoziationen eröffnen sich bei den Worten „nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung“… Sie motivieren dazu, unbeirrt dem zu folgen, selbstüberzeugt das umzusetzen, was man für richtig hält. Es ist im Grunde ein Freibrief für alternative Ziele und Lebensformen jeglicher Art schon in jungen Jahren.

  1. Vorschlag für einen zurückhaltenderen Umgang mit der Meißnertradition und der Meißnerformel
  1. Charismatische Sätze, Erklärungen, Aussagen, Formeln können initiieren, sammeln und stärken, sie können aber auch negative Wirkungen entfalten, indem sie z.B. historische Zusammenhänge vereinfachen und Pluralismus gefährden.

Zugegeben: Für Bündische, die von der Meißnererklärung 1913 begeistert waren und die teilweise verzückt auf diese Formel starrten, ist es unerheblich, ob ihre Gruppierungen diese Erklärung inhaltlich von Anfang an unterstützten oder erst allmählich in ihren Sog gerieten.

Aber die Sorge vor einer Beeinträchtigung von Pluralismus sollte man etwas ernster nehmen. Die Wandervogelbewegung entwickelte sich bereits kurz nach ihrer Gründung pluralistisch. Pluralismus kann eine Bereicherung sein. Die charismatische Formulierung dieser Meißner-Erklärung und besonders ihre Forderung nach Geschlossenheit hinter ihrer Aussage kann aber Pluralismus beeinträchtigt, indem einmal Bünde, die nicht allen Zielen anderer Bünde zustimmen, in ihrem individuellen Selbstverständnis verunsichert werden und zum anderen, indem Bestrebungen entstehen, unliebsame und nichtkonforme Bünde von dieser beschworenen gemeinsamen Plattform auszuschließen. Deswegen sollte man den Einfluss dieser Erklärung etwas zurück fahren.

Für das 100jährige Gedächtnistreffen im Herbst 2013 könnte das konkret bedeute:

– Dass man auf die Suche nach einer ähnlich charismatischen Erklärung verzichtet und sich höchstens auf eine einfache Aussage beschränkt oder noch besser jedem teilnehmenden Bund eine eigene Erklärung zubilligt.

– Dass man kein gemeinsames Meißnerlager 2013 anstrebt, sondern jedem beteiligten Bund ein eigenes Lager am Meißner zuspricht und nur zu zentralen Veranstaltungen an einem Ort zusammen kommt. Vielleicht kann man sich auch in dieser Form gegenseitig besser ertragen, wenn man nicht für die Freiheit der Ziele der anderen Gruppen eintreten muss.

– Dass man aufgibt, die Welt irgendwie entscheidend zu reformieren und verbessern zu wollen, denn das ist nach allen Erfahrzungen der Geschichte leider nicht möglich. Es ist nur sinnvoll, dass jeder Bund versucht, um sich kleine Inseln des Vernünftigen und Guten zu schaffen, so wie Alexej Stachowitsch das fordert.

Denn das Meißnertreffen von 1913 hat keinen Kult-Charakter für die Wandervogelbewegung gehabt und die Meißnerformel von 1913 war keine Kult-Formel und kein KultAusdruck für die Wandervogelbewegung und ist sie bis heute nicht. Es gibt nur nach dem 2. Weltkrieg zunehmende Strömungen, sie dazu zu machen.

VII. Einige Literaturhinweise

http://buendische-vielfalt.de, z.B. zwölfdreizehnschnipseleien januar 13 und märz 13, hansische Meißnerschnipsel usw. Auf dieser Webseite sind in den letzten Monaten interessante Quellen zum Meißnertreffen 1913 zusammen getragen worden. Die konkret benutzten Stellen sind als Fußnoten angegeben.

– Wandervogel, Monatsschrift für deutsches Jugendwandern, verschiedene Hefte des Jahrgangs 1913 – Helwig, Werner, Die blaue Blume des Wandervogels, Deutscher Spurbuchverlag, überarbeitete Neuausgabe, hrsg. Von Walter Sauer, 1998.

– Speiser, Heinz, 1977: Hans Breuer – Wirken und Wirkungen, eine Monografie, Burg Ludwigstein.

– Wurm, Helmut 1990: Vorarbeiten zu einer interdisziplinären Untersuchung über die Körperhöhenverhältnisse der Deutschen im 19. Jahrhundert und der sie beeinflussenden Lebensverhältnisse, 2 Teile. Teil 1: Einleitende Begründung, quellenkundliche Probleme, quellenkundliche Vorarbeiten für die politischen Einzelräume von Norddeutschland bis Württemberg. Teil II: Quellenkundliche Vorarbeiten für Baden, Elsaß-Lothringen, Bayern, das gesamte Deutsche Reich, zusammenfassende Auswertung, ernährungshistorische Hinweise, Schrifttum. in: Gegenbaurs morphologisches Jahrbuch, Bd. 136, S. 405-429 und S. 503-524.

(In dieser Untersuchung waren nur die Wachstumsverhältnisse ab 18 Jahren betrachtet worden. Es wurden die damaligen Messungen an Turnern, Soldaten, Studenten usw. ausgewertet, wobei immer wieder die Klassifikation Turnerjugend, soldatische Jugend, studentische Jugend usw. auffiel)

– Eine Internet-Suche (z. B. in http://de.academic.ru; wikipedia; scout-o-wiki, buendische-vielfalt) zu den Schlagworten „Jugendbewegung, Altwandervogel, Wandervogel e.V., Meißner 1913, Freideutscher Jugendtag, Meißnererklärung 1913, Knud Ahlborn, Gustav Wyneken, akademische Freischar, Bund deutscher Wanderer“ usw. Die konkret benutzten Stellen sind als Fußnoten angegeben.

– Siehe auch: Hoher Meissner 1913. Der Erste Freideutsche Jugendtag in Dokumenten, Deutungen und Bildern, hrsg. von Winfried Mogge und Jürgen Reulecke, WochenschauVerlag, 1988, 422. Seiten.

(Verfasst von Helmut Wurm, März 2013. Der Hinweis und der Terminus, dass die so viel zitierte Meissnerformel „keinen Kult-Charakter“… für die Wandervogelbewegung habe, stammt von Alexej Stachowitsch, Axi, der das in einem telefonischen Gespräch mit dem Verfasser über diesen Beitrag ergänzend knapp 1 Woche vor seinem Tod so

Meißnertreffen 1913 – 2013 – Zum Nachdenken

Meißner 2013

Ich nehme den Artikel von Helmut Wurm zum Anlass, vier Gedankengänge und Beobachtungen zu Meißner 1923 bis 2013 zu äußern.

1. Die Meißnerformel, 2. Das Zusammenkommen und Zusammenwirken  3. Die Form des Lagers 2013. 4. Das Extralager 

1.Die Meißnerformel ist eine der wenigen Aussagen aus der Wandervogel- und Reformbewegung, die von allen mit kleinen Abweichungen akzeptiert wird. Heute setzen wir dazu: „Das Leben selbst und in Gemeinschaft zu gestalten.“ Gemeinschaft wurde 1913 in der Formel nicht erwähnt, weil die damals viel selbstverständlicher war, als in unserer egoistisch-kapitalistischen Gesellschaft.

2.Das Zusammenkommen der Bünde, besonders der Wandervogel- und Jungenschaftsbünde war für mich immer ein eindrucksvolles, kreatives und zukunftsgerichtetes Treffen. Das war es auch diesmal. Nur das Zukunftsgerichtete kam zu kurz. Es waren diesmal bei großen Lager kaum Wandervögel dabei. Es gibt auch zur Zeit nur wenige.

3.Das Lager war auf dem Meißner riesig, großartig vorbereitet und strotzte von Aktionen, Happenings, Überraschungen. Ich war in den Jurten des Mindener Kreises sehr gut aufgehoben. Wandervögel waren kaum zu finden. Wieder andere brieten noch ihre Extrawürste. Die Pfadfinder, die Waldjugend und andere waren in der Lage ein Lager aufzuziehen, das Hochachtung verdient. Die große und gut vorbereitete Festveranstaltung hatte leider nur Vorträge, die mich nicht in den Bann zogen und wenig für die Zukunft der Menschen und Jugendlichen in Deutschland bot

3.Die meisten Wandervögel hatten sich in einem kleinen Extralager auf der Hausener Hute abgesondert. Dort fand die Festveranstaltung im Regen statt. Das Feuer wollte nicht brennen. Die Festrede von Ketscha, früher Bundesführer im Wandervogel Deutscher Bund, war die beste der gehaltenen Rede. Ich las sie erst später. Sie war schlecht vorgetragen, kaum zu hören und nicht zu verstehen und für den Regen viel zu lang. Ketscha war seines Alters wegen nicht dabei. Eine junge Frau trug die Rede vor. Und als einige ältere Gäste unaufgefordert das todesmutige Lied vom Rhein und heiligen Vaterland in Gefahren anstimmten, sank unsere Stimmung auf Null, und wir kehrten betroffen zum Ludwigstein zurück und fühlten uns wie Wanderer zwischen zwei Welten. hedo

(Zu Kenntis des Liedes, das von Nazis missbraucht wurde, das 1914 als Kaiser- und Kriegsförderung entstand, und das so nicht mehr singbar ist: Heilig Vaterland! In Gefahren deine Söhne sich um dich scharen. Von Gefahr umringt, heilig Vaterland, alle stehen wir Hand in Hand! 2. Bei den Sternen steht, was wir schwören. Der die Sterne lenkt, wird uns hören. Eh der Fremde dir deine Kronen raubt, Deutschland, fallen wir Haupt bei Haupt! 3. Heilig Vaterland, heb zur Stunde kühn dein Angesicht in die Runde! Sieh uns all entbrannt, Sohn bei Söhnen stehn. Du sollst bleiben, Land, wir vergehn!)

Der folgende Artikel regt zum Denken an, aber entspricht nicht der Meinung der Redaktion

Beitrag zur Entmythologisierung von Meissnertreffen und Meissnerformel

1913 von Puschkin (Helmut Wurm)

  1. (Der derzeit letzte Bearbeitungsstand dieses Kurzbeitrages ist der 8. 4. 013)
  2. Dieser Beitrag ist kein konformer Beitrag zum Chor begeisterten Meißnertreffen-Freunde, sondern ein Querdenker-Beitrag, der manche Sichtweise und Entwicklung hinterfragt. Er möchte begründen, weshalb das Meißnertreffen von 1913 keinen Kult-Charakter für die Wandervögel gehabt hat und weshalb die Meißnerformel von 1913 keine Kult-Formel und kein Kult-Ausdruck für die Wandervogelbewegung war und bis heute ist.
  3. Anfangs einige Begriffs-Richtigstellungen:
  4. Unter Jugend verstand man um 1900 eine andere Altersstufe als heute. Der Terminus „Jugend“ bezeichnete die Altersspanne etwa zwischen 16 bis 25 Jahren, also die Altersstufe Adoleszenz bis junge Erwachsene im heutigen Sprachgebrauch. Man sprach damals von gymnasialer Jugend, studentischer Jugend, akademischer Jugend, Turnerjugend, soldatischer Jugend… Die Altersstufe davor waren die Knaben und Mädchen. Der frühe Wandervogel war also keine Jugendbewegung im heutigen Sinne, sondern eine Bewegung von Adoleszenten und jungen Erwachsenen, die allerdings Jugendliche ab 14-16 Jahren um sich sammelten.
  5. Der frühe Wandervogel war primär keine Reformbewegung und keine Protestbewegung gegen die Erwachsenen, sondern primär eine unpolitische Entdeckungsbewegung der Natur außerhalb der Stadtballungen und eine Wanderbewegung hinaus in die Romantik. Die frühe Wandervogelbewegung benötigte sogar die Hilfen der Erwachsenen. Ohne Erwachsenenhilfe (z.B. einige Lehrer in Steglitz und die Eufrat-Mitglieder) hätte es die Gründung und den Aufbau der Wandervogelbewegung nicht gegeben.
  6. Es ist vielen heute Lebenden schwer, sich die beginnende Fluchtbewegung aus den StadtBallungen ab dem Ende des 19. Jhs. zu vergegenwärtigen. Die Menschen waren vorher in den Siedlungen weitgehend gefangen gewesen. Erst der Ausbau des Eisenbahnnetzes ermöglichte die Erschließung der weiteren Stadtumgebungen und Deutschlands für größere Gruppenreisen. Um 1900 hatte das Eisenbahnnetz eine solche Dichte erreicht, dass man leicht und billig in jede Richtung fahren konnte. Es öffnete für die Wandervogelgruppen die Tore in die weite Welt. Ab den Wandervogelanfängen liest man in Fahrtengberichten, dass man sich an Bahnhöfen traf, mit dem Zug in die Fahrtengegend fuhr und die Fahrten an Bahnhöfen beendete. Es war nicht die Flucht vor dem Zwang der damaligen Erziehung, die den Wandervogel entstehen ließ. Reformfanatiker, damals wie heute, wollen das nur der Wandervogelgeschichte unterschieben.
  7. Um das Selbstverständnis des Wandervogels und seine Motivationen zu verdeutlichen, sollen einige Beiträge aus der Monatsschrift des Einigungsvereins „Wandervogels e.V.“ aus dem Jahr 1913 zitiert werden:
  8. Rudolf Sievers 1 beantwortete die Frage „Was ist der Wandervogel?“ so: Der Wandervogel will laut Satzung „Erstens… das Wandern der deutschen Jugend fördern, den Sinn für das Naturschöne wecken und der Jugend Gelegenheit geben, Land und Leute der deutschen Heimat aus eigener Anschauung kennen zu lernen“…
  9. 1
  10. Sievers, Schriftleiter dieser Zeitschrift in einem Artikel, der bewusst als Aussage für die geplante Festschrift des bevorstehenden „Freideutschen Jugendtages“ gemeint war; in: Wandervogel, Monatsschrift für deutsches Jugendwandern, Jahrgang 8, Oktober 1913, Heft 10, S. 278. Etwas dichterischer beschrieb Hans Breuer 2 die Fluchtbewegung der frühen Wandervögel aus den Städten und gleichzeitig die Wandlung vom wilden Vaganten-Wanderstil zum kulturromantischen Stil: „Und sie fluchten ihrer Großstadt, verhöhnten, was noch an Heiligem an ihr klebte. Sie kürten sich Armut, Not und Entbehrungen, stürmten hinaus in wilde Klüfte und Wälder und tagten dort in der Einsamkeit. Das war eine wilde, schöne Zeit… Aber mählich, wie sie reifer wurden, zog’s sie, die bäuerlichen Stuben zu schmecken, durch Gässchen altfränkischer Städtchen zu schweifen, sie sahen den feierlichen Ernst wuchtiger, rundbogiger Münster, die ragenden Dienste gotischer Kathedralen und spürten einen Hauch von ihrem Genius“.
  11. Und der neu gewählte Bundesführer 3 des neu gegründeten Einigungsbundes e.V. warnte im selben Heft vor Reformern auf diesem geplanten Freideutschen Treffen, vor denen man Vorsicht haben müsse. „Aber da kommen aus dieser Jugend selbst einige hervor und raunen und rauschen den anderen heimliche Dinge ins Ohr. Und sagen: Das Wandern und Singen an sich ist gar nichts wert. Wir müssen eine neue Jugendkultur schaffen, darauf kommt alles an… Ich bin auch anderen begegnet, Jünglingen mit schmachtenden Augen, denen war das Herumlaufen mit nackten Beinen und bloßem Kopf und das Tragen langer Haare wichtiger als die ganze Wanderei… Wieder andere habe ich getroffen, die wollten, dass der Wandervogel… sich… mit allen möglichen anderen Verbänden, die auf Lebenserneuerung drängen, zu gemeinsamer Arbeit zusammenschließe,… als ob das nicht der Tod einer Jugendbewegung sein müsste… Unsere Liebe sei Wald und Heide, Berg und Strom. Unser Ruf sei derselbe… Hinaus in die Ferne“.
  12. Und im nächsten Heft 11 antwortete Edmund Neuendorff auf den Antrag von Wandervogelführern, Teilnehmern am gerade zurückliegenden Meißnertreffen, der Meißnererklärung beizutreten: Der Antrag werde der nächsten Bundesversammlung des e.V. vorgelegt, „Aber wir im Wandervogel dürfen nie und nimmer vergessen, dass unsere erste und ernsteste und heiligste Aufgabe sein muss: Förderung des Wanderns und der von selbst aus ihm erblühenden und durch Lebenskräfte notwendig mit ihm verbunden äußeren und inneren Kultur deutscher Jugend.“ 4
  13. Für die Wandervogelbewegung passte zusammenfassend gut die spontane Formulierung von Muck-Lamberty (Friedrich Lamberty, genannt Muck) 1919: „Unsere Fahrt geht ins Blaue…“
  14. Natürlich gab es auch Wandervögel, die froh waren, der damaligen Erziehungswelt und Familienwelt entweichen zu können. Aber das war nicht die primäre Intention der neuen Bewegung. 5 Und es gab auch früh Versuche, diese neue Bewegung zu ideologisieren. Aber es war hauptsächlich die harmlos-naive Ideologie von der Suche nach der blauen Blume, die aus der Romantik übernommen wurde, die man dem Wandervogel überstülpte.
  15. Diese ideologisch naiv-harmlose Wandervogelbewegung war z.B. dem Reformpädagogen Wyneken nicht ernsthaft genug. Er meinte, der Wandervogel habe in Lied und Tanz einen Ausdruck jugendlichen Frohsinns gefunden, sich damit aber auch bereits zufrieden gegeben und habe es sich wohl sein lassen. Die ganze künstlerische Einstellung des Wandervogels sei auf bloßen Stimmungsgenuss gerichtet, und zwar auf einen ziemlich bequemen und billigen Genuss.6
  16. 2
  17. Hans Breuer, ehemaliger Bundesführer des Wandervogels D.B., der als größter Teilbund im e.V. aufgegangen war; ebenda S. 283.
  18. 3 Edmund Neuendorff, Schulleiter; ebenda S. 302f. 4 Edmund Neuendorff, Wandervogel…, Heft 11, S. 332f. 5
  19. Diesbezüglich sollte man die weitergehenden Behauptungen von Blüher mit Zurückhaltung zur Kenntnis nehmen, denn überall dort, wo er interpretiert, ist große Zurückhaltung geboten.
  20. 6
  21. Nach http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/, Artikel zu Gustav Wynneken, 556277#sel=20:1,20:58 II. Die Einladung zum Meißnertreffen
  22. Der Beginn des Vorhabens ist etwa Ostern 1913 zu datieren. Denn damals bekam die Idee von einem alternativen Jahrhundertfest einen wesentlichen Anstoß. Denn auf dem Bundestag der Deutschen Akademischen Freischar (DAF) in Jena machte ein Gast, welcher Mitglied des Deutschen Bundes abstinenter Studenten (DBaSt) war, den Vorschlag eine würdige, insbesondere alkoholfreie, Gedenkveranstaltung zu Ehren der Völkerschlacht bei Leipzig durchzuführen. Dieser Vorschlag wurde in den Reihen der DAF mit Begeisterung aufgenommen und fortan blieb die DAF die treibende Kraft hinter den Vorbereitungen des Ersten Freideutschen Jugendtages. Man nahm anschließend Verbindung zu anderen Bünden und Studentenverbindungen auf, auch zu den damaligen Wandervogelbünden. 7 Der erste historische Anschub zu diesem Alternativtreffen ging also nicht von den Wandervögeln aus, sondern von einer Bundesrichtung, die – durchaus nachvollziehbar – ein Treffen von jungen Erwachsenen und insbesondere von Studenten vorschlug, dass sich nicht in den damaligen Maßstab einordnete, der den deutschen Mann nach seiner Fähigkeit maß, wie viel Alkohol er vertragen konnte. Dieser enge Ideengeber-Kreis suchte nun nach Bünden, die ein solches Treffen mit gestalten würden. Die Mehrzahl der hinzu geworbenen und besonders aktiven Bünde waren kleinere Reformgruppen mit verschiedenen anderen Zielsetzungen, daneben 2 Wandervogelbünde.
  23. Ein erstes Treffen interessierter Bünde zur Vorbereitung eines solchen Treffens fand Pfingsten 1913 in Jena statt. An diesem Treffen nahmen 13 Bünde teil und hier wurden Name, Ort und grober Ablauf des Festes festgelegt. Der Name „Freideutscher Jugendtag“ orientierte sich nach einem Vorschlag des Urwandervogels Friedrich Wilhelm Fulda, dem damaligen Verantwortlichen der Wandervogel-Führerzeitschrift. Den Hohen Meißner als Ort schlug Christian Schneehagen vor, Mitglied der Deutschen Akademischen Freischar und späterer Mitorganisator des Meißnertreffens.8
  24. Der erste Aufruf im Sommer 1913 erschien in der Wandervogel Führerzeitung (Heft 7, 1913) und wurde im Namen der Deutschen Akademischen Freischar von Knud Ahlborn unterschrieben. Der zweite Aufruf erschien kurze Zeit später im Gaublatt „Nordmark“ des Wandervogel e. V. (Heft 4, 1913) und war erstmalig von allen veranstaltenden Bünden unterschrieben. Als Festleitung wurde Christian Schneehagen angegeben.
  25. Folgende Bünde schlossen sich zur Vorbereitung und Einladung zusammen:
  26. Deutsche Akademische Freischar, Deutscher Bund abstinenter Studenten, Deutscher Vortruppbund, Bund deutscher Wanderer, Wandervogel e.V., Jungwandervogel, Österreichischer Wandervogel, Germania – Bund abstinenter Studenten, Freie Schulgemeinde Wickersdorf, Bund für freie Schulgemeinden, Landschulheim am Solling, Akademische Vereinigungen Marburg und Jena, Serakreis Jena, Burschenschaft Vandalia Jena.9
  27. Zum Meißnertreffen 1913 hat es mehrere Einladungen gegeben. 10 Die letzte Einladung zum Meißnertreffen, weitgehend formuliert von Gustav Wyneken, war eine pathetisch-
  28. 7
  29. Eng angelehnt an die Mitteilung in http://buendische-vielfalt.de/?p=3353 und http://buendischevielfalt.de/?p=3460, die wiederum als Quelle angeben: Johannes Jacobs (kugel), Was war das – das Meißnerfest 1913?, Kiel 1987, Seite 42-43.
  30. 8
  31. http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Freideutscher_Jugendtag#cite_note-1 9
  32. http://buendische-vielfalt.de/?p=933, siehe dort: Was ließen jene… #2 – Aufrufe zum Freideutschen Jugendtag… ; 10
  33. http://www.digam.net/dokument.php?ID=9247&PHPSESSID =54853573ed0494d618a5b774685e474f (=Digitales Archiv Marburg, DigAM); Siehe auch die ausgewählten Quellen im Eisbrecher, http://www.der-eisbrecher.de/cont_files/df_meissner.pdf und; http://buendische-vielfalt.de/?p=3117; http://buendische-vielfalt.de/?p=1450; http://buendische->
  34. de/?p=933 rhetorisch-suggestive Meisterleistung eines Krisen-Manifestes zur angeblichen Situation der deutschen Jugend um 1900.
  35. Formulierungen wie „Die deutsche Jugend steht an einem Wendepunkt…, träge Gewohnheiten der Alten und den Geboten einer hässlichen Konvention,… Wir wollen auch weiter getrennt marschieren, aber in dem Bewusstsein, dass uns ein Grundgefühl zusammen schließt, so dass wir Schulter an Schulter gegen die gemeinsamen Feinde kämpfen,… Möge von ihm eine neue Zeit deutschen Jugendlebens anheben“ suggerieren einen Jugendnotstaat und negieren, dass damals die Erziehung durch Eltern und Schulen in vielen Fällen besser war als die heute häufige Nicht-Erziehung und schlechte Erziehung durch viele Medien. Die damalige Erziehung war zugegeben etwas überbehütet, zu konventionell, aber zu einer allgemeinen Dramatik war kein Anlass. Diese Sorge ist eher für die Gegenwart berechtigt.
  36. Zusammen mit den früheren Aufrufen zu einem Meißnertreffen, jeweils formuliert von Knud Ahlborn, Christian Schneehagen bzw. W. Groothoff, wird die Absicht erkennbar, dass eine Minderheit von Reformern und Reformgruppen mit Hilfe von zahlenmäßig größeren Verbänden, z.B. dem Wandervogel, ihre Reformvorstellungen und Ziele in die Gesellschaft tragen wollte. Der Wandervogel war als zahlenmäßig starke Hilfstruppe geplant, die ideelle Leitung sollte aber bei den Reformern bleiben.
  37. Die Formulierung „Die“ deutsche Jugend… suggeriert, dass hier die gesamte deutsche Jugend angesprochen würde. In Wirklichkeit betraf das nur die Jugend der bürgerlichen Sozialschichten. Die bäuerliche Jugend, damals noch der weitaus größte Anteil, hatte weder Zeit noch Gelegenheit für Freiräume. Die zunehmende Arbeiterjugend hatte andere Sorgen, nämlich die finanzielle schmale Basis und überlange Arbeitszeiten, und war größtenteils in den sozialistischen Jugendorganisationen erfasst. Für obige Reformideen, für pädagogische Freiräume und auch für die notwendige Zeit dazu kam nur die bürgerliche Jugend der mittleren und höheren Sozialschichten in Frage. Diese dürften damals kaum mehr als ca. 10 % der damaligen Gesamtjugend insgesamt umfasst haben.
  38. Zu den tragenden Kräften des Meißnertreffens
  39. Das Meißnertreffen 1913 wurde primär geprägt von der DAL, der Deutschen Akademischen Freischar. Diese Bewegung war von dem zu Reformen neigenden Knud Ahlborn und seinem Freund Hans Harbeck 1907 in Göttingen gegründet worden und als eine Weiterführung der Wanderverein-Bewegung im Bund Deutscher Wanderer speziell für die Sozialschicht der Studenten.
  40. Knut Ahlborn hatte in Hamburg 1905 als 17-Jähriger den ersten Wanderverein gegründet. Dieser Hamburger Wanderverein beschrieb sich als „Selbsterziehungsverein höherer Schüler“. Der daraus entstandene Bund Deutscher Wanderer formulierte sein Ziel so: „Vom Wanderer zum Menschen, das ist unsere Erkenntnis und unser Ziel“. Damit war seine Zielsetzung pädagogischer Art und stand in der pädagogischen Tradition, die Goethe in seinem damals viel beachteten Erziehungsroman „Wilhelm Meister“ ausgesprochen hatte, dass nämlich der Mensch nur durch Wandern und Reisen zur inneren Reife gelangen könne.
  41. Die erste Deutsche Akademische Freischar (DAL) in Göttingen hatte bewusst statt der ursprünglich geplanten Bezeichnung „Akademischer Wanderverein“ den kämpferischeren Namen Akademische Freischar gewählt. In der Gründungsurkunde beschrieb man sich als „Kampfbund zur Reform des Deutschen Studententums“. Man verstand sich als Alternative zu den traditionellen Studentenverbindungen und war gegen das studentische Fechten und Trinken und hielt weiterhin am goethischen Ideal der Menschenbildung zum Guten und Schönen fest. 1913 formulierte die Akademischer Freischar eines ihrer Ideale so: „Alle Veranstaltungen der Freischar haben Gesundheit und Schönheit zum obersten Gesetz“. Damit war die Akademische Freischar keine studentische „Roverstufe“ für Wandervögel, sondern eine elitäre und letztlich pädagogisch orientierte Bewegung, die mit dem viel „naiveren“ Wandervogel nur das Wandern, aber nicht die Zielsetzungen gemeinsam hatte.
  42. Es war auch nicht so, dass die älteren Wandervögel automatisch oder hauptsächlich als Studenten in die örtlichen Freischargruppen eintraten. In Heft 4 der Zeitschrift des e.V. Wandervogel… vom April 1913 gab es dazu eine kleine Diskussion in Form von 4 Lesermeinungen. 11 Eine Zuschrift empfahl den Eintritt studierender Wandervögel in die Freischar, weil die Ziele studentischer Verbindungen über die Ziele des Wandervogels hinaus gingen (z.B. Stellungnahmen zu verschiedenen Kulturfragen) und die Wandervogelziele nicht mit solchen studentischen Zielen vermengt werden dürften. Der Schreiber bedauerte gleich-zeitig, dass sich bisher so wenige studierende Wandervögel der Freischar oder vergleich-baren studentischen Korporationen angeschlossen hätten und schlug vor, offiziell für solche Übergänge nach der Schüler-Wandervogelzeit zu werben. „Ich halte es für das beste, die Wandervögel immer wieder auf die Freischar und ähnliche Verbindungen hinzuweisen. Dass sich bis jetzt so wenige angeschlossen haben, mag zum Teil daran liegen, dass diese Verbindungen noch zu neu und unbekannt sind… Dazu kommt, dass er seine Bekannten meistens im Wandervogel hat und nicht in der Freischar.“ 12
  43. Die anderen 3 Leserzuschriften hielten durchaus studentische Wandervogelgruppen als Gruppierung für die älter gewordenen Wandervögel für sinnvoll und verwiesen auf schon bestehende akademische Wandervogelgruppen. Auch die studentische Wandervogelgruppe um Hans Breuer in Heidelberg lebte ihre Wandervogeltradition als weitgehend akademische Gruppierung, die Heidelberger Pachanthey, in Heidelberg weiter.
  44. Knud Ahlborn war zusammen mit einigen anderen Freunden aus der Freischar der Hauptinitiator des Freideutschen Jugendtages auf dem Meißner und der so genannten Meißnerformel, wobei Ideengeber für die Formulierungen vor ihm möglich sind. Knud Ahlborn war von seiner Anlage her ein Mensch, für den Aspekte der Menschenbildung von zentraler Bedeutung waren und der in gewisser Weise lebenslänglich zu Idealisierungen, Reformen und Neugründungen neigte.
  45. Dass sich Knud Ahlborn in Göttingen kurz vor seiner Gründung der Akademischen Freischar der dortigen Altwandervogel-Gruppe angeschlossen hatte, hat nicht die Bedeutung, dass er die Freischar als „Rovergruppe“ des Wandervogels verstand. Wie intensiv er neben seiner Freischargruppe noch Kontakt zu dieser Altwandervogel-Gruppe pflegte, kann nicht gesagt werden. Aber gerade der Altwandervogel hat damals die Teilnahme am Freideutschen Jugendtag abgelehnt. Vielleicht kannte man dort die Sympathien von Knud Ahlborn für Reformer und Reformbünde…
  46. Zum Meißnerfest und der Rolle der Wandervögel
  47. Gegenüber Versuchen der politischen Einflussnahme und Vereinnahmung suchten die Wandervogel-Verantwortlichen meist Neutralität zu wahren. So fand der Erste Freideutsche Jugendtag auf dem Hohen Meißner im Oktober 1913, für den der Wandervogel den Boden bereitet hatte, offiziell ohne seine Beteiligung statt.13
  48. Dass trotz der unsicheren bzw. ablehnenden Haltung der großen Wandervogelbünde doch ca. die Hälfte der Teilnehmer Wandervögel war, lag daran, dass der e.V. kurzfristig keine eigene Parallelveranstaltung wie der Altwandervogel geplant hatte. Viele Gruppen hatte längerfristig die Reise geplant und die Fahrkarten schon gekauft. Ein Teil der Teilnehmer
  49. 11
  50. 12
  51. 13
  52. Wandervogel…, Jahrgang 8, April, Heft 4, 1913, S. 119ff. ebenda, Walter Fischer, Berlin… http://de.wikipedia.org/wiki/Wandervogel aus diesem Bund wurde aber bereits auf diesem Treffen vom Charisma der MeißnerErklärung ergriffen.
  53. Der Jungwandervogel, der sich bis zuletzt an der Einladung offiziell beteiligt hatte, äußerte sich nachträglich teilweise spöttisch-kritisch zu all den vielen Idealisten, Sektierern und Reformern. Ein Berichterstatter schrieb: Es „kamen Leute und sagten, der politische Linksliberalismus wolle die Jugend fangen; die Linksliberalen freuten sich und glaubten’s vielleicht selber, und die „Nationalen kamen“, um die Jugend zu „retten“. Und wir, die Jugend – lachten. Kümmerten uns den Teufel um Politik. Gingen mit offenen Augen und Ohren hin zum Meißner-Fest, und hätte uns einer von Politik erzählt, dann wären wir singend von dannen gezogen… Wir haben uns zwar mühsam verschiedener Apostel erwehren müssen, die uns vor ihren Wagen spannen wollten, haben aber auch Männer kennen gelernt, die die Jugend achten und ihr helfen wollen um ihrer selbst willen“14
  54. Und der Komponist des Liedes „Wir wollen zu Land ausfahren…“, Kurt von Burkersroda, ebenfalls Jung-Wandervogel, schrieb nachhinein über das Hahnsteintreffen vorher: „Eine zeitlang ist nur Getümmel und Gesummel. Während dessen macht man Studien. Weiße und blaue Pludermützen,… ausgesprochene Zwiebacknasen, fantastisch-hagere Abstinenzlerund Rohköstlergesichter mit tief in den Höhlen liegenden Augen. Mancherlei Fähnlein hängen müde hernieder, und ich höre, wie vor mir einer erklärt: Dort sitzen Volkserzieher, die massive Erscheinung da ist Popert, dahinten sitzen die Himbeersaftstudenten, und die Fahne mit dem Rad, das ist das Banner des Serakreises!
  55. In verschiedenen Ecken feiert die Kleiderreform wilde Orgien mit Kitteln in allen Regenbogenfarben. Der E.V. läßt krampfhaft seine Storchnadel sehen, die anscheinend immer größere Formen annimmt. Und über all dem Mischmasch von Loden, Manchester, Bundtuch, Reformhemden, Umhängen und Touristenanzügen ein Meer von erwartungsvollen Augen…15
  56. Wenn auch eine Reihe Wandervogelgruppen nachträglich positiv vom Meißnertreffen 1913 berichtete, so bestand doch ein Teil der Wandervogelteilnehmer hauptsächlich nur aus Neugierigen, Verlegenheitsbesuchern, Lauwarmen, Kritikern und zog recht unbekümmert wieder nach Hause.
  57. „Wenig hat am Ende jene historische Tagung auf dem Hohen Meißner ergeben – nur ein Versprechen, das nie gehalten wurde, und eine Formel, die jedem etwas anderes bedeutete und die auf jeden Fall keine spezielle Jugendformel war. Für die Jungen und Mädchen im Wandervogel mag das nicht sehr von Belang gewesen sein: Lachend hatten sie auf dem Hohen Meißner zugesehen, wie Links und Rechts sich mühten, sie für ihre Zwecke zu mobilisieren“. 16
  58. Und kaum ein Jahr später zogen die Wandervögel voll nationaler Begeisterung in den 1. Weltkrieg und in die Schlacht bei Langemarck, obwohl doch das Meißnertreffen 1913 sich gegen den damaligen Hurra-Patriotismus mit Soldatenfeiern gewandt hatte.
  59. Zur charismatischen Wirkung der so genannten Meißner Formel
  60. 14
  61. Nach Jung-Wandervogel, Zeitschrift des Bundes für Jugendwandern „Jung-Wandervogel“, 3. Jahrg., Nov./Dez. 1913, Heft 11/12, S. 161; zit. nach http://buendische-vielfalt.de/?p=1545, Hansische Meißnerschnipsel – Wandervögel nah & fern, von der Hamburger Gilde Gorch Fock, wobei in dieser Textzusammenstellung eine Fotokopie der betreffenden Zeitschrift-Ausgabe enthalten ist, so dass man auch direkt von dieser Fotokopie zitieren kann.
  62. 15
  63. Ebenda, s. 161f; ebenfalls zit. nach http://buendische-vielfalt.de/?p=1545, Hansische Meißnerschnipsel – Wandervögel nah & fern, von der Hamburger Gilde Gorch Fock.
  64. 16
  65. Siehe http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/469190 Mitreißende Schlagworte, griffige Formulierungen, eingängige Merksätze machen mehr Geschichte und haben größere Wirkungen als dicke Bücher. Das gilt seit den Anfängen der Geschichte: „Es gibt nur 1 Gott, du sollst nicht andere Götter neben mir haben; Ich weiß, dass ich nichts weiß; Hier stehe ich, ich kann nicht anders; Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen; Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit; Proletarier aller Länder, vereinigt euch; Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“… In die Reihe diese wirkungsträchtigen Formulierungen gehört auch die Meißnerformel. Sie war es, die dem Treffen von 1913 erst Bedeutung und Geschichtlichkeit verschafft hat. Ohne diese „Formel“ würde sich heute kaum noch jemand dieses Treffens erinnern. Sie füllte eine Lücke aus, die damals im soziologischen Raum offen stand.
  66. Die erste Wirkung dieser Erklärung war, dass sie sukzessive den teilnehmenden und auch nicht teilnehmenden Bünden bewusst gemacht hat, dass die damaligen Bewegungen von Adoleszenten und jungen Erwachsenen in irgend einer Form direkt oder indirekt ein Sich-Abgrenzen, ein Protest gegen die damalige Gesellschaft waren oder wurden und dass man Reformen praktizierte, auch wenn man sie bewusst nicht geplant hatte. Diese griffige Erklärung, obwohl inhaltlich ein Allgemeinplatz, der für alle protestierenden Generationen der Geschichte Gültigkeit hat, begann allmählich sogar Pfadfindergruppen in ihren Bann zu ziehen. Und dass besonders die anfangs kritischen Wandervögel das Gedenken an Formel und Treffen von 1913 am Leben erhielten, ist schon ein beachtenswerter charismatischer Erfolg, eigentlich ein kleiner Treppenwitz der Weltgeschichte.
  67. Diese Formel war nicht nur griffig, sie beinhaltete auch Zwang und verlangte unbedingte Geschlossenheit. Die Schlussworte „Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein“ bedeuten eigentlich ein suggestives Einschwören auf diese Formulierung, die die Besucher des Treffens 1913 vorher noch gar nicht gekannt hatten, wobei hinter dem Hinweis auf „innere Freiheit“ auch Ziele von Bünden stehen konnten, die nicht jeder damals und heute akzeptieren möchte.
  68. Man muss sich diesen Vorgang einmal genau vor Augen halten. Da fühlten sich einige Freischärler unter Führung von Knud Ahlborn als Sprachrohr aller Teilnehmer dieses Treffens und fordern entschiedenes Eintreten aller für dasjenige, was sie während einer Wanderung ausformulieret hatten. Das war im Grunde ein gewisser Fraktionszwang, eine Bevormundung.
  69. Wäre diese Meißner-Erklärung in einem demokratischen Formulierungsprozess entstanden, wäre sie real eine Erklärung der damals Versammelten gewesen. So war sie eine Forderung weniger, die aber durch das Charisma ihrer Worte nachträglich immer mehr Bünde hinter sich versammelte.
  70. Diese Formel hat die Wandervögel im Zuge des Wandels des soziologischen Begriffes Jugend erst zu einer Jugendbewegung im Sinne von Nichterwachsenen gemacht. Denn das Wort und der Begriff „Jugend“ sind in der Formel geblieben, der Sinn von Jugend hat sich aber geändert. Das hat längere Zeit die Rolle von Älteren in den bündischen Gruppierungen verunsichert. Erst in der Gegenwart beginnt sich, auch durch den demografischen Wandel, das Selbstverständnis einer großen bündischen Familie über alle Altersstufen hinweg durchzusetzen.
  71. Dass sich diese Erklärung auf Wandervögel und Pfadfinder ausweitete, hängt auch damit zusammen, dass die Leitideen von diesen Bünden nicht soziologisch kritisch und reichhaltig genug sind, um auch für darüber hinaus Interessierte einen Heimatraum zu bieten. Die Wandervogelromantik erschöpft sich irgendwann einmal und die Pfadfindertechniken hat man irgendwann einmal gelernt…
  72. In dieser Formel fand man einen gedanklichen Anstoß für übergeordnete Ideen. Welche vielfältigen Assoziationen eröffnen sich bei den Worten „nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung“… Sie motivieren dazu, unbeirrt dem zu folgen, selbstüberzeugt das umzusetzen, was man für richtig hält. Es ist im Grunde ein Freibrief für alternative Ziele und Lebensformen jeglicher Art schon in jungen Jahren.
  73. Vorschlag für einen zurückhaltenderen Umgang mit der Meißnertradition und der Meißnerformel
  74. Charismatische Sätze, Erklärungen, Aussagen, Formeln können initiieren, sammeln und stärken, sie können aber auch negative Wirkungen entfalten, indem sie z.B. historische Zusammenhänge vereinfachen und Pluralismus gefährden.
  75. Zugegeben: Für Bündische, die von der Meißnererklärung 1913 begeistert waren und die teilweise verzückt auf diese Formel starrten, ist es unerheblich, ob ihre Gruppierungen diese Erklärung inhaltlich von Anfang an unterstützten oder erst allmählich in ihren Sog gerieten.
  76. Aber die Sorge vor einer Beeinträchtigung von Pluralismus sollte man etwas ernster nehmen. Die Wandervogelbewegung entwickelte sich bereits kurz nach ihrer Gründung pluralistisch. Pluralismus kann eine Bereicherung sein. Die charismatische Formulierung dieser Meißner-Erklärung und besonders ihre Forderung nach Geschlossenheit hinter ihrer Aussage kann aber Pluralismus beeinträchtigt, indem einmal Bünde, die nicht allen Zielen anderer Bünde zustimmen, in ihrem individuellen Selbstverständnis verunsichert werden und zum anderen, indem Bestrebungen entstehen, unliebsame und nichtkonforme Bünde von dieser beschworenen gemeinsamen Plattform auszuschließen. Deswegen sollte man den Einfluss dieser Erklärung etwas zurück fahren.
  77. Für das 100jährige Gedächtnistreffen im Herbst 2013 könnte das konkret bedeute:
  78. – Dass man auf die Suche nach einer ähnlich charismatischen Erklärung verzichtet und sich höchstens auf eine einfache Aussage beschränkt oder noch besser jedem teilnehmenden Bund eine eigene Erklärung zubilligt.
  79. – Dass man kein gemeinsames Meißnerlager 2013 anstrebt, sondern jedem beteiligten Bund ein eigenes Lager am Meißner zuspricht und nur zu zentralen Veranstaltungen an einem Ort zusammen kommt. Vielleicht kann man sich auch in dieser Form gegenseitig besser ertragen, wenn man nicht für die Freiheit der Ziele der anderen Gruppen eintreten muss.
  80. – Dass man aufgibt, die Welt irgendwie entscheidend zu reformieren und verbessern zu wollen, denn das ist nach allen Erfahrzungen der Geschichte leider nicht möglich. Es ist nur sinnvoll, dass jeder Bund versucht, um sich kleine Inseln des Vernünftigen und Guten zu schaffen, so wie Alexej Stachowitsch das fordert.
  81. Denn das Meißnertreffen von 1913 hat keinen Kult-Charakter für die Wandervogelbewegung gehabt und die Meißnerformel von 1913 war keine Kult-Formel und kein KultAusdruck für die Wandervogelbewegung und ist sie bis heute nicht. Es gibt nur nach dem 2. Weltkrieg zunehmende Strömungen, sie dazu zu machen.
  82. Einige Literaturhinweise
  83. http://buendische-vielfalt.de, z.B. zwölfdreizehnschnipseleien januar 13 und märz 13, hansische Meißnerschnipsel usw. Auf dieser Webseite sind in den letzten Monaten interessante Quellen zum Meißnertreffen 1913 zusammen getragen worden. Die konkret benutzten Stellen sind als Fußnoten angegeben.
  84. – Wandervogel, Monatsschrift für deutsches Jugendwandern, verschiedene Hefte des Jahrgangs 1913 – Helwig, Werner, Die blaue Blume des Wandervogels, Deutscher Spurbuchverlag, überarbeitete Neuausgabe, hrsg. Von Walter Sauer, 1998.
  85. – Speiser, Heinz, 1977: Hans Breuer – Wirken und Wirkungen, eine Monografie, Burg Ludwigstein.
  86. – Wurm, Helmut 1990: Vorarbeiten zu einer interdisziplinären Untersuchung über die Körperhöhenverhältnisse der Deutschen im 19. Jahrhundert und der sie beeinflussenden Lebensverhältnisse, 2 Teile. Teil 1: Einleitende Begründung, quellenkundliche Probleme, quellenkundliche Vorarbeiten für die politischen Einzelräume von Norddeutschland bis Württemberg. Teil II: Quellenkundliche Vorarbeiten für Baden, Elsaß-Lothringen, Bayern, das gesamte Deutsche Reich, zusammenfassende Auswertung, ernährungshistorische Hinweise, Schrifttum. in: Gegenbaurs morphologisches Jahrbuch, Bd. 136, S. 405-429 und S. 503-524.
  87. (In dieser Untersuchung waren nur die Wachstumsverhältnisse ab 18 Jahren betrachtet worden. Es wurden die damaligen Messungen an Turnern, Soldaten, Studenten usw. ausgewertet, wobei immer wieder die Klassifikation Turnerjugend, soldatische Jugend, studentische Jugend usw. auffiel)
  88. – Eine Internet-Suche (z. B. in http://de.academic.ru; wikipedia; scout-o-wiki, buendische-vielfalt) zu den Schlagworten „Jugendbewegung, Altwandervogel, Wandervogel e.V., Meißner 1913, Freideutscher Jugendtag, Meißnererklärung 1913, Knud Ahlborn, Gustav Wyneken, akademische Freischar, Bund deutscher Wanderer“ usw. Die konkret benutzten Stellen sind als Fußnoten angegeben.
  89. – Siehe auch: Hoher Meissner 1913. Der Erste Freideutsche Jugendtag in Dokumenten, Deutungen und Bildern, hrsg. von Winfried Mogge und Jürgen Reulecke, WochenschauVerlag, 1988, 422. Seiten.
  90. (Verfasst von Helmut Wurm, März 2013. Der Hinweis und der Terminus, dass die so viel zitierte Meissnerformel „keinen Kult-Charakter“… für die Wandervogelbewegung habe, stammt von Alexej Stachowitsch, Axi, der das in einem telefonischen Gespräch mit dem Verfasser über diesen Beitrag ergänzend knapp 1 Woche vor seinem Tod so formulierte. )erdint.

Beitrag zur Entmythologisierung von Meissnertreffen und Meissnerformel

1913

(Der derzeit letzte Bearbeitungsstand dieses Kurzbeitrages ist der 8. 4. 013)

Dieser Beitrag ist kein konformer Beitrag zum Chor begeisterten Meißnertreffen-Freunde, sondern ein Querdenker-Beitrag, der manche Sichtweise und Entwicklung hinterfragt. Er möchte begründen, weshalb das Meißnertreffen von 1913 keinen Kult-Charakter für die Wandervögel gehabt hat und weshalb die Meißnerformel von 1913 keine Kult-Formel und kein Kult-Ausdruck für die Wandervogelbewegung war und bis heute ist.

  1. Anfangs einige Begriffs-Richtigstellungen:
  1. Unter Jugend verstand man um 1900 eine andere Altersstufe als heute. Der Terminus „Jugend“ bezeichnete die Altersspanne etwa zwischen 16 bis 25 Jahren, also die Altersstufe Adoleszenz bis junge Erwachsene im heutigen Sprachgebrauch. Man sprach damals von gymnasialer Jugend, studentischer Jugend, akademischer Jugend, Turnerjugend, soldatischer Jugend… Die Altersstufe davor waren die Knaben und Mädchen. Der frühe Wandervogel war also keine Jugendbewegung im heutigen Sinne, sondern eine Bewegung von Adoleszenten und jungen Erwachsenen, die allerdings Jugendliche ab 14-16 Jahren um sich sammelten.
  1. Der frühe Wandervogel war primär keine Reformbewegung und keine Protestbewegung gegen die Erwachsenen, sondern primär eine unpolitische Entdeckungsbewegung der Natur außerhalb der Stadtballungen und eine Wanderbewegung hinaus in die Romantik. Die frühe Wandervogelbewegung benötigte sogar die Hilfen der Erwachsenen. Ohne Erwachsenenhilfe (z.B. einige Lehrer in Steglitz und die Eufrat-Mitglieder) hätte es die Gründung und den Aufbau der Wandervogelbewegung nicht gegeben.

Es ist vielen heute Lebenden schwer, sich die beginnende Fluchtbewegung aus den StadtBallungen ab dem Ende des 19. Jhs. zu vergegenwärtigen. Die Menschen waren vorher in den Siedlungen weitgehend gefangen gewesen. Erst der Ausbau des Eisenbahnnetzes ermöglichte die Erschließung der weiteren Stadtumgebungen und Deutschlands für größere Gruppenreisen. Um 1900 hatte das Eisenbahnnetz eine solche Dichte erreicht, dass man leicht und billig in jede Richtung fahren konnte. Es öffnete für die Wandervogelgruppen die Tore in die weite Welt. Ab den Wandervogelanfängen liest man in Fahrtengberichten, dass man sich an Bahnhöfen traf, mit dem Zug in die Fahrtengegend fuhr und die Fahrten an Bahnhöfen beendete. Es war nicht die Flucht vor dem Zwang der damaligen Erziehung, die den Wandervogel entstehen ließ. Reformfanatiker, damals wie heute, wollen das nur der Wandervogelgeschichte unterschieben.

Um das Selbstverständnis des Wandervogels und seine Motivationen zu verdeutlichen, sollen einige Beiträge aus der Monatsschrift des Einigungsvereins „Wandervogels e.V.“ aus dem Jahr 1913 zitiert werden:

Rudolf Sievers 1 beantwortete die Frage „Was ist der Wandervogel?“ so: Der Wandervogel will laut Satzung „Erstens… das Wandern der deutschen Jugend fördern, den Sinn für das Naturschöne wecken und der Jugend Gelegenheit geben, Land und Leute der deutschen Heimat aus eigener Anschauung kennen zu lernen“…

1

Sievers, Schriftleiter dieser Zeitschrift in einem Artikel, der bewusst als Aussage für die geplante Festschrift des bevorstehenden „Freideutschen Jugendtages“ gemeint war; in: Wandervogel, Monatsschrift für deutsches Jugendwandern, Jahrgang 8, Oktober 1913, Heft 10, S. 278. Etwas dichterischer beschrieb Hans Breuer 2 die Fluchtbewegung der frühen Wandervögel aus den Städten und gleichzeitig die Wandlung vom wilden Vaganten-Wanderstil zum kulturromantischen Stil: „Und sie fluchten ihrer Großstadt, verhöhnten, was noch an Heiligem an ihr klebte. Sie kürten sich Armut, Not und Entbehrungen, stürmten hinaus in wilde Klüfte und Wälder und tagten dort in der Einsamkeit. Das war eine wilde, schöne Zeit… Aber mählich, wie sie reifer wurden, zog’s sie, die bäuerlichen Stuben zu schmecken, durch Gässchen altfränkischer Städtchen zu schweifen, sie sahen den feierlichen Ernst wuchtiger, rundbogiger Münster, die ragenden Dienste gotischer Kathedralen und spürten einen Hauch von ihrem Genius“.

Und der neu gewählte Bundesführer 3 des neu gegründeten Einigungsbundes e.V. warnte im selben Heft vor Reformern auf diesem geplanten Freideutschen Treffen, vor denen man Vorsicht haben müsse. „Aber da kommen aus dieser Jugend selbst einige hervor und raunen und rauschen den anderen heimliche Dinge ins Ohr. Und sagen: Das Wandern und Singen an sich ist gar nichts wert. Wir müssen eine neue Jugendkultur schaffen, darauf kommt alles an… Ich bin auch anderen begegnet, Jünglingen mit schmachtenden Augen, denen war das Herumlaufen mit nackten Beinen und bloßem Kopf und das Tragen langer Haare wichtiger als die ganze Wanderei… Wieder andere habe ich getroffen, die wollten, dass der Wandervogel… sich… mit allen möglichen anderen Verbänden, die auf Lebenserneuerung drängen, zu gemeinsamer Arbeit zusammenschließe,… als ob das nicht der Tod einer Jugendbewegung sein müsste… Unsere Liebe sei Wald und Heide, Berg und Strom. Unser Ruf sei derselbe… Hinaus in die Ferne“.

Und im nächsten Heft 11 antwortete Edmund Neuendorff auf den Antrag von Wandervogelführern, Teilnehmern am gerade zurückliegenden Meißnertreffen, der Meißnererklärung beizutreten: Der Antrag werde der nächsten Bundesversammlung des e.V. vorgelegt, „Aber wir im Wandervogel dürfen nie und nimmer vergessen, dass unsere erste und ernsteste und heiligste Aufgabe sein muss: Förderung des Wanderns und der von selbst aus ihm erblühenden und durch Lebenskräfte notwendig mit ihm verbunden äußeren und inneren Kultur deutscher Jugend.“ 4

Für die Wandervogelbewegung passte zusammenfassend gut die spontane Formulierung von Muck-Lamberty (Friedrich Lamberty, genannt Muck) 1919: „Unsere Fahrt geht ins Blaue…“

Natürlich gab es auch Wandervögel, die froh waren, der damaligen Erziehungswelt und Familienwelt entweichen zu können. Aber das war nicht die primäre Intention der neuen Bewegung. 5 Und es gab auch früh Versuche, diese neue Bewegung zu ideologisieren. Aber es war hauptsächlich die harmlos-naive Ideologie von der Suche nach der blauen Blume, die aus der Romantik übernommen wurde, die man dem Wandervogel überstülpte.

Diese ideologisch naiv-harmlose Wandervogelbewegung war z.B. dem Reformpädagogen Wyneken nicht ernsthaft genug. Er meinte, der Wandervogel habe in Lied und Tanz einen Ausdruck jugendlichen Frohsinns gefunden, sich damit aber auch bereits zufrieden gegeben und habe es sich wohl sein lassen. Die ganze künstlerische Einstellung des Wandervogels sei auf bloßen Stimmungsgenuss gerichtet, und zwar auf einen ziemlich bequemen und billigen Genuss.6

2

Hans Breuer, ehemaliger Bundesführer des Wandervogels D.B., der als größter Teilbund im e.V. aufgegangen war; ebenda S. 283.

3 Edmund Neuendorff, Schulleiter; ebenda S. 302f. 4 Edmund Neuendorff, Wandervogel…, Heft 11, S. 332f. 5

Diesbezüglich sollte man die weitergehenden Behauptungen von Blüher mit Zurückhaltung zur Kenntnis nehmen, denn überall dort, wo er interpretiert, ist große Zurückhaltung geboten.

6

Nach http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/, Artikel zu Gustav Wynneken, 556277#sel=20:1,20:58 II. Die Einladung zum Meißnertreffen

  1. Der Beginn des Vorhabens ist etwa Ostern 1913 zu datieren. Denn damals bekam die Idee von einem alternativen Jahrhundertfest einen wesentlichen Anstoß. Denn auf dem Bundestag der Deutschen Akademischen Freischar (DAF) in Jena machte ein Gast, welcher Mitglied des Deutschen Bundes abstinenter Studenten (DBaSt) war, den Vorschlag eine würdige, insbesondere alkoholfreie, Gedenkveranstaltung zu Ehren der Völkerschlacht bei Leipzig durchzuführen. Dieser Vorschlag wurde in den Reihen der DAF mit Begeisterung aufgenommen und fortan blieb die DAF die treibende Kraft hinter den Vorbereitungen des Ersten Freideutschen Jugendtages. Man nahm anschließend Verbindung zu anderen Bünden und Studentenverbindungen auf, auch zu den damaligen Wandervogelbünden. 7 Der erste historische Anschub zu diesem Alternativtreffen ging also nicht von den Wandervögeln aus, sondern von einer Bundesrichtung, die – durchaus nachvollziehbar – ein Treffen von jungen Erwachsenen und insbesondere von Studenten vorschlug, dass sich nicht in den damaligen Maßstab einordnete, der den deutschen Mann nach seiner Fähigkeit maß, wie viel Alkohol er vertragen konnte. Dieser enge Ideengeber-Kreis suchte nun nach Bünden, die ein solches Treffen mit gestalten würden. Die Mehrzahl der hinzu geworbenen und besonders aktiven Bünde waren kleinere Reformgruppen mit verschiedenen anderen Zielsetzungen, daneben 2 Wandervogelbünde.

Ein erstes Treffen interessierter Bünde zur Vorbereitung eines solchen Treffens fand Pfingsten 1913 in Jena statt. An diesem Treffen nahmen 13 Bünde teil und hier wurden Name, Ort und grober Ablauf des Festes festgelegt. Der Name „Freideutscher Jugendtag“ orientierte sich nach einem Vorschlag des Urwandervogels Friedrich Wilhelm Fulda, dem damaligen Verantwortlichen der Wandervogel-Führerzeitschrift. Den Hohen Meißner als Ort schlug Christian Schneehagen vor, Mitglied der Deutschen Akademischen Freischar und späterer Mitorganisator des Meißnertreffens.8

Der erste Aufruf im Sommer 1913 erschien in der Wandervogel Führerzeitung (Heft 7, 1913) und wurde im Namen der Deutschen Akademischen Freischar von Knud Ahlborn unterschrieben. Der zweite Aufruf erschien kurze Zeit später im Gaublatt „Nordmark“ des Wandervogel e. V. (Heft 4, 1913) und war erstmalig von allen veranstaltenden Bünden unterschrieben. Als Festleitung wurde Christian Schneehagen angegeben.

Folgende Bünde schlossen sich zur Vorbereitung und Einladung zusammen:

Deutsche Akademische Freischar, Deutscher Bund abstinenter Studenten, Deutscher Vortruppbund, Bund deutscher Wanderer, Wandervogel e.V., Jungwandervogel, Österreichischer Wandervogel, Germania – Bund abstinenter Studenten, Freie Schulgemeinde Wickersdorf, Bund für freie Schulgemeinden, Landschulheim am Solling, Akademische Vereinigungen Marburg und Jena, Serakreis Jena, Burschenschaft Vandalia Jena.9

  1. Zum Meißnertreffen 1913 hat es mehrere Einladungen gegeben. 10 Die letzte Einladung zum Meißnertreffen, weitgehend formuliert von Gustav Wyneken, war eine pathetisch-

7

Eng angelehnt an die Mitteilung in http://buendische-vielfalt.de/?p=3353 und http://buendischevielfalt.de/?p=3460, die wiederum als Quelle angeben: Johannes Jacobs (kugel), Was war das – das Meißnerfest 1913?, Kiel 1987, Seite 42-43.

8

http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Freideutscher_Jugendtag#cite_note-1 9

http://buendische-vielfalt.de/?p=933, siehe dort: Was ließen jene… #2 – Aufrufe zum Freideutschen Jugendtag… ; 10

http://www.digam.net/dokument.php?ID=9247&PHPSESSID =54853573ed0494d618a5b774685e474f (=Digitales Archiv Marburg, DigAM); Siehe auch die ausgewählten Quellen im Eisbrecher, http://www.der-eisbrecher.de/cont_files/df_meissner.pdf und; http://buendische-vielfalt.de/?p=3117; http://buendische-vielfalt.de/?p=1450; http://buendische->

vielfalt.de/?p=933 rhetorisch-suggestive Meisterleistung eines Krisen-Manifestes zur angeblichen Situation der deutschen Jugend um 1900.

Formulierungen wie „Die deutsche Jugend steht an einem Wendepunkt…, träge Gewohnheiten der Alten und den Geboten einer hässlichen Konvention,… Wir wollen auch weiter getrennt marschieren, aber in dem Bewusstsein, dass uns ein Grundgefühl zusammen schließt, so dass wir Schulter an Schulter gegen die gemeinsamen Feinde kämpfen,… Möge von ihm eine neue Zeit deutschen Jugendlebens anheben“ suggerieren einen Jugendnotstaat und negieren, dass damals die Erziehung durch Eltern und Schulen in vielen Fällen besser war als die heute häufige Nicht-Erziehung und schlechte Erziehung durch viele Medien. Die damalige Erziehung war zugegeben etwas überbehütet, zu konventionell, aber zu einer allgemeinen Dramatik war kein Anlass. Diese Sorge ist eher für die Gegenwart berechtigt.

  1. Zusammen mit den früheren Aufrufen zu einem Meißnertreffen, jeweils formuliert von Knud Ahlborn, Christian Schneehagen bzw. W. Groothoff, wird die Absicht erkennbar, dass eine Minderheit von Reformern und Reformgruppen mit Hilfe von zahlenmäßig größeren Verbänden, z.B. dem Wandervogel, ihre Reformvorstellungen und Ziele in die Gesellschaft tragen wollte. Der Wandervogel war als zahlenmäßig starke Hilfstruppe geplant, die ideelle Leitung sollte aber bei den Reformern bleiben.

  1. Die Formulierung „Die“ deutsche Jugend… suggeriert, dass hier die gesamte deutsche Jugend angesprochen würde. In Wirklichkeit betraf das nur die Jugend der bürgerlichen Sozialschichten. Die bäuerliche Jugend, damals noch der weitaus größte Anteil, hatte weder Zeit noch Gelegenheit für Freiräume. Die zunehmende Arbeiterjugend hatte andere Sorgen, nämlich die finanzielle schmale Basis und überlange Arbeitszeiten, und war größtenteils in den sozialistischen Jugendorganisationen erfasst. Für obige Reformideen, für pädagogische Freiräume und auch für die notwendige Zeit dazu kam nur die bürgerliche Jugend der mittleren und höheren Sozialschichten in Frage. Diese dürften damals kaum mehr als ca. 10 % der damaligen Gesamtjugend insgesamt umfasst haben.

III. Zu den tragenden Kräften des Meißnertreffens

Das Meißnertreffen 1913 wurde primär geprägt von der DAL, der Deutschen Akademischen Freischar. Diese Bewegung war von dem zu Reformen neigenden Knud Ahlborn und seinem Freund Hans Harbeck 1907 in Göttingen gegründet worden und als eine Weiterführung der Wanderverein-Bewegung im Bund Deutscher Wanderer speziell für die Sozialschicht der Studenten.

Knut Ahlborn hatte in Hamburg 1905 als 17-Jähriger den ersten Wanderverein gegründet. Dieser Hamburger Wanderverein beschrieb sich als „Selbsterziehungsverein höherer Schüler“. Der daraus entstandene Bund Deutscher Wanderer formulierte sein Ziel so: „Vom Wanderer zum Menschen, das ist unsere Erkenntnis und unser Ziel“. Damit war seine Zielsetzung pädagogischer Art und stand in der pädagogischen Tradition, die Goethe in seinem damals viel beachteten Erziehungsroman „Wilhelm Meister“ ausgesprochen hatte, dass nämlich der Mensch nur durch Wandern und Reisen zur inneren Reife gelangen könne.

Die erste Deutsche Akademische Freischar (DAL) in Göttingen hatte bewusst statt der ursprünglich geplanten Bezeichnung „Akademischer Wanderverein“ den kämpferischeren Namen Akademische Freischar gewählt. In der Gründungsurkunde beschrieb man sich als „Kampfbund zur Reform des Deutschen Studententums“. Man verstand sich als Alternative zu den traditionellen Studentenverbindungen und war gegen das studentische Fechten und Trinken und hielt weiterhin am goethischen Ideal der Menschenbildung zum Guten und Schönen fest. 1913 formulierte die Akademischer Freischar eines ihrer Ideale so: „Alle Veranstaltungen der Freischar haben Gesundheit und Schönheit zum obersten Gesetz“. Damit war die Akademische Freischar keine studentische „Roverstufe“ für Wandervögel, sondern eine elitäre und letztlich pädagogisch orientierte Bewegung, die mit dem viel „naiveren“ Wandervogel nur das Wandern, aber nicht die Zielsetzungen gemeinsam hatte.

Es war auch nicht so, dass die älteren Wandervögel automatisch oder hauptsächlich als Studenten in die örtlichen Freischargruppen eintraten. In Heft 4 der Zeitschrift des e.V. Wandervogel… vom April 1913 gab es dazu eine kleine Diskussion in Form von 4 Lesermeinungen. 11 Eine Zuschrift empfahl den Eintritt studierender Wandervögel in die Freischar, weil die Ziele studentischer Verbindungen über die Ziele des Wandervogels hinaus gingen (z.B. Stellungnahmen zu verschiedenen Kulturfragen) und die Wandervogelziele nicht mit solchen studentischen Zielen vermengt werden dürften. Der Schreiber bedauerte gleich-zeitig, dass sich bisher so wenige studierende Wandervögel der Freischar oder vergleich-baren studentischen Korporationen angeschlossen hätten und schlug vor, offiziell für solche Übergänge nach der Schüler-Wandervogelzeit zu werben. „Ich halte es für das beste, die Wandervögel immer wieder auf die Freischar und ähnliche Verbindungen hinzuweisen. Dass sich bis jetzt so wenige angeschlossen haben, mag zum Teil daran liegen, dass diese Verbindungen noch zu neu und unbekannt sind… Dazu kommt, dass er seine Bekannten meistens im Wandervogel hat und nicht in der Freischar.“ 12

Die anderen 3 Leserzuschriften hielten durchaus studentische Wandervogelgruppen als Gruppierung für die älter gewordenen Wandervögel für sinnvoll und verwiesen auf schon bestehende akademische Wandervogelgruppen. Auch die studentische Wandervogelgruppe um Hans Breuer in Heidelberg lebte ihre Wandervogeltradition als weitgehend akademische Gruppierung, die Heidelberger Pachanthey, in Heidelberg weiter.

Knud Ahlborn war zusammen mit einigen anderen Freunden aus der Freischar der Hauptinitiator des Freideutschen Jugendtages auf dem Meißner und der so genannten Meißnerformel, wobei Ideengeber für die Formulierungen vor ihm möglich sind. Knud Ahlborn war von seiner Anlage her ein Mensch, für den Aspekte der Menschenbildung von zentraler Bedeutung waren und der in gewisser Weise lebenslänglich zu Idealisierungen, Reformen und Neugründungen neigte.

Dass sich Knud Ahlborn in Göttingen kurz vor seiner Gründung der Akademischen Freischar der dortigen Altwandervogel-Gruppe angeschlossen hatte, hat nicht die Bedeutung, dass er die Freischar als „Rovergruppe“ des Wandervogels verstand. Wie intensiv er neben seiner Freischargruppe noch Kontakt zu dieser Altwandervogel-Gruppe pflegte, kann nicht gesagt werden. Aber gerade der Altwandervogel hat damals die Teilnahme am Freideutschen Jugendtag abgelehnt. Vielleicht kannte man dort die Sympathien von Knud Ahlborn für Reformer und Reformbünde…

  1. Zum Meißnerfest und der Rolle der Wandervögel

Gegenüber Versuchen der politischen Einflussnahme und Vereinnahmung suchten die Wandervogel-Verantwortlichen meist Neutralität zu wahren. So fand der Erste Freideutsche Jugendtag auf dem Hohen Meißner im Oktober 1913, für den der Wandervogel den Boden bereitet hatte, offiziell ohne seine Beteiligung statt.13

Dass trotz der unsicheren bzw. ablehnenden Haltung der großen Wandervogelbünde doch ca. die Hälfte der Teilnehmer Wandervögel war, lag daran, dass der e.V. kurzfristig keine eigene Parallelveranstaltung wie der Altwandervogel geplant hatte. Viele Gruppen hatte längerfristig die Reise geplant und die Fahrkarten schon gekauft. Ein Teil der Teilnehmer

11

12

13

Wandervogel…, Jahrgang 8, April, Heft 4, 1913, S. 119ff. ebenda, Walter Fischer, Berlin… http://de.wikipedia.org/wiki/Wandervogel aus diesem Bund wurde aber bereits auf diesem Treffen vom Charisma der MeißnerErklärung ergriffen.

Der Jungwandervogel, der sich bis zuletzt an der Einladung offiziell beteiligt hatte, äußerte sich nachträglich teilweise spöttisch-kritisch zu all den vielen Idealisten, Sektierern und Reformern. Ein Berichterstatter schrieb: Es „kamen Leute und sagten, der politische Linksliberalismus wolle die Jugend fangen; die Linksliberalen freuten sich und glaubten’s vielleicht selber, und die „Nationalen kamen“, um die Jugend zu „retten“. Und wir, die Jugend – lachten. Kümmerten uns den Teufel um Politik. Gingen mit offenen Augen und Ohren hin zum Meißner-Fest, und hätte uns einer von Politik erzählt, dann wären wir singend von dannen gezogen… Wir haben uns zwar mühsam verschiedener Apostel erwehren müssen, die uns vor ihren Wagen spannen wollten, haben aber auch Männer kennen gelernt, die die Jugend achten und ihr helfen wollen um ihrer selbst willen“14

Und der Komponist des Liedes „Wir wollen zu Land ausfahren…“, Kurt von Burkersroda, ebenfalls Jung-Wandervogel, schrieb nachhinein über das Hahnsteintreffen vorher: „Eine zeitlang ist nur Getümmel und Gesummel. Während dessen macht man Studien. Weiße und blaue Pludermützen,… ausgesprochene Zwiebacknasen, fantastisch-hagere Abstinenzlerund Rohköstlergesichter mit tief in den Höhlen liegenden Augen. Mancherlei Fähnlein hängen müde hernieder, und ich höre, wie vor mir einer erklärt: Dort sitzen Volkserzieher, die massive Erscheinung da ist Popert, dahinten sitzen die Himbeersaftstudenten, und die Fahne mit dem Rad, das ist das Banner des Serakreises!

In verschiedenen Ecken feiert die Kleiderreform wilde Orgien mit Kitteln in allen Regenbogenfarben. Der E.V. läßt krampfhaft seine Storchnadel sehen, die anscheinend immer größere Formen annimmt. Und über all dem Mischmasch von Loden, Manchester, Bundtuch, Reformhemden, Umhängen und Touristenanzügen ein Meer von erwartungsvollen Augen…15

Wenn auch eine Reihe Wandervogelgruppen nachträglich positiv vom Meißnertreffen 1913 berichtete, so bestand doch ein Teil der Wandervogelteilnehmer hauptsächlich nur aus Neugierigen, Verlegenheitsbesuchern, Lauwarmen, Kritikern und zog recht unbekümmert wieder nach Hause.

„Wenig hat am Ende jene historische Tagung auf dem Hohen Meißner ergeben – nur ein Versprechen, das nie gehalten wurde, und eine Formel, die jedem etwas anderes bedeutete und die auf jeden Fall keine spezielle Jugendformel war. Für die Jungen und Mädchen im Wandervogel mag das nicht sehr von Belang gewesen sein: Lachend hatten sie auf dem Hohen Meißner zugesehen, wie Links und Rechts sich mühten, sie für ihre Zwecke zu mobilisieren“. 16

Und kaum ein Jahr später zogen die Wandervögel voll nationaler Begeisterung in den 1. Weltkrieg und in die Schlacht bei Langemarck, obwohl doch das Meißnertreffen 1913 sich gegen den damaligen Hurra-Patriotismus mit Soldatenfeiern gewandt hatte.

  1. Zur charismatischen Wirkung der so genannten Meißner Formel

14

Nach Jung-Wandervogel, Zeitschrift des Bundes für Jugendwandern „Jung-Wandervogel“, 3. Jahrg., Nov./Dez. 1913, Heft 11/12, S. 161; zit. nach http://buendische-vielfalt.de/?p=1545, Hansische Meißnerschnipsel – Wandervögel nah & fern, von der Hamburger Gilde Gorch Fock, wobei in dieser Textzusammenstellung eine Fotokopie der betreffenden Zeitschrift-Ausgabe enthalten ist, so dass man auch direkt von dieser Fotokopie zitieren kann.

15

Ebenda, s. 161f; ebenfalls zit. nach http://buendische-vielfalt.de/?p=1545, Hansische Meißnerschnipsel – Wandervögel nah & fern, von der Hamburger Gilde Gorch Fock.

16

Siehe http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/469190 Mitreißende Schlagworte, griffige Formulierungen, eingängige Merksätze machen mehr Geschichte und haben größere Wirkungen als dicke Bücher. Das gilt seit den Anfängen der Geschichte: „Es gibt nur 1 Gott, du sollst nicht andere Götter neben mir haben; Ich weiß, dass ich nichts weiß; Hier stehe ich, ich kann nicht anders; Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen; Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit; Proletarier aller Länder, vereinigt euch; Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“… In die Reihe diese wirkungsträchtigen Formulierungen gehört auch die Meißnerformel. Sie war es, die dem Treffen von 1913 erst Bedeutung und Geschichtlichkeit verschafft hat. Ohne diese „Formel“ würde sich heute kaum noch jemand dieses Treffens erinnern. Sie füllte eine Lücke aus, die damals im soziologischen Raum offen stand.

  1. Die erste Wirkung dieser Erklärung war, dass sie sukzessive den teilnehmenden und auch nicht teilnehmenden Bünden bewusst gemacht hat, dass die damaligen Bewegungen von Adoleszenten und jungen Erwachsenen in irgend einer Form direkt oder indirekt ein Sich-Abgrenzen, ein Protest gegen die damalige Gesellschaft waren oder wurden und dass man Reformen praktizierte, auch wenn man sie bewusst nicht geplant hatte. Diese griffige Erklärung, obwohl inhaltlich ein Allgemeinplatz, der für alle protestierenden Generationen der Geschichte Gültigkeit hat, begann allmählich sogar Pfadfindergruppen in ihren Bann zu ziehen. Und dass besonders die anfangs kritischen Wandervögel das Gedenken an Formel und Treffen von 1913 am Leben erhielten, ist schon ein beachtenswerter charismatischer Erfolg, eigentlich ein kleiner Treppenwitz der Weltgeschichte.
  1. Diese Formel war nicht nur griffig, sie beinhaltete auch Zwang und verlangte unbedingte Geschlossenheit. Die Schlussworte „Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein“ bedeuten eigentlich ein suggestives Einschwören auf diese Formulierung, die die Besucher des Treffens 1913 vorher noch gar nicht gekannt hatten, wobei hinter dem Hinweis auf „innere Freiheit“ auch Ziele von Bünden stehen konnten, die nicht jeder damals und heute akzeptieren möchte.

Man muss sich diesen Vorgang einmal genau vor Augen halten. Da fühlten sich einige Freischärler unter Führung von Knud Ahlborn als Sprachrohr aller Teilnehmer dieses Treffens und fordern entschiedenes Eintreten aller für dasjenige, was sie während einer Wanderung ausformulieret hatten. Das war im Grunde ein gewisser Fraktionszwang, eine Bevormundung.

Wäre diese Meißner-Erklärung in einem demokratischen Formulierungsprozess entstanden, wäre sie real eine Erklärung der damals Versammelten gewesen. So war sie eine Forderung weniger, die aber durch das Charisma ihrer Worte nachträglich immer mehr Bünde hinter sich versammelte.

  1. Diese Formel hat die Wandervögel im Zuge des Wandels des soziologischen Begriffes Jugend erst zu einer Jugendbewegung im Sinne von Nichterwachsenen gemacht. Denn das Wort und der Begriff „Jugend“ sind in der Formel geblieben, der Sinn von Jugend hat sich aber geändert. Das hat längere Zeit die Rolle von Älteren in den bündischen Gruppierungen verunsichert. Erst in der Gegenwart beginnt sich, auch durch den demografischen Wandel, das Selbstverständnis einer großen bündischen Familie über alle Altersstufen hinweg durchzusetzen.

Dass sich diese Erklärung auf Wandervögel und Pfadfinder ausweitete, hängt auch damit zusammen, dass die Leitideen von diesen Bünden nicht soziologisch kritisch und reichhaltig genug sind, um auch für darüber hinaus Interessierte einen Heimatraum zu bieten. Die Wandervogelromantik erschöpft sich irgendwann einmal und die Pfadfindertechniken hat man irgendwann einmal gelernt…

In dieser Formel fand man einen gedanklichen Anstoß für übergeordnete Ideen. Welche vielfältigen Assoziationen eröffnen sich bei den Worten „nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung“… Sie motivieren dazu, unbeirrt dem zu folgen, selbstüberzeugt das umzusetzen, was man für richtig hält. Es ist im Grunde ein Freibrief für alternative Ziele und Lebensformen jeglicher Art schon in jungen Jahren.

  1. Vorschlag für einen zurückhaltenderen Umgang mit der Meißnertradition und der Meißnerformel
  1. Charismatische Sätze, Erklärungen, Aussagen, Formeln können initiieren, sammeln und stärken, sie können aber auch negative Wirkungen entfalten, indem sie z.B. historische Zusammenhänge vereinfachen und Pluralismus gefährden.

Zugegeben: Für Bündische, die von der Meißnererklärung 1913 begeistert waren und die teilweise verzückt auf diese Formel starrten, ist es unerheblich, ob ihre Gruppierungen diese Erklärung inhaltlich von Anfang an unterstützten oder erst allmählich in ihren Sog gerieten.

Aber die Sorge vor einer Beeinträchtigung von Pluralismus sollte man etwas ernster nehmen. Die Wandervogelbewegung entwickelte sich bereits kurz nach ihrer Gründung pluralistisch. Pluralismus kann eine Bereicherung sein. Die charismatische Formulierung dieser Meißner-Erklärung und besonders ihre Forderung nach Geschlossenheit hinter ihrer Aussage kann aber Pluralismus beeinträchtigt, indem einmal Bünde, die nicht allen Zielen anderer Bünde zustimmen, in ihrem individuellen Selbstverständnis verunsichert werden und zum anderen, indem Bestrebungen entstehen, unliebsame und nichtkonforme Bünde von dieser beschworenen gemeinsamen Plattform auszuschließen. Deswegen sollte man den Einfluss dieser Erklärung etwas zurück fahren.

Für das 100jährige Gedächtnistreffen im Herbst 2013 könnte das konkret bedeute:

– Dass man auf die Suche nach einer ähnlich charismatischen Erklärung verzichtet und sich höchstens auf eine einfache Aussage beschränkt oder noch besser jedem teilnehmenden Bund eine eigene Erklärung zubilligt.

– Dass man kein gemeinsames Meißnerlager 2013 anstrebt, sondern jedem beteiligten Bund ein eigenes Lager am Meißner zuspricht und nur zu zentralen Veranstaltungen an einem Ort zusammen kommt. Vielleicht kann man sich auch in dieser Form gegenseitig besser ertragen, wenn man nicht für die Freiheit der Ziele der anderen Gruppen eintreten muss.

– Dass man aufgibt, die Welt irgendwie entscheidend zu reformieren und verbessern zu wollen, denn das ist nach allen Erfahrzungen der Geschichte leider nicht möglich. Es ist nur sinnvoll, dass jeder Bund versucht, um sich kleine Inseln des Vernünftigen und Guten zu schaffen, so wie Alexej Stachowitsch das fordert.

Denn das Meißnertreffen von 1913 hat keinen Kult-Charakter für die Wandervogelbewegung gehabt und die Meißnerformel von 1913 war keine Kult-Formel und kein KultAusdruck für die Wandervogelbewegung und ist sie bis heute nicht. Es gibt nur nach dem 2. Weltkrieg zunehmende Strömungen, sie dazu zu machen.

VII. Einige Literaturhinweise

http://buendische-vielfalt.de, z.B. zwölfdreizehnschnipseleien januar 13 und märz 13, hansische Meißnerschnipsel usw. Auf dieser Webseite sind in den letzten Monaten interessante Quellen zum Meißnertreffen 1913 zusammen getragen worden. Die konkret benutzten Stellen sind als Fußnoten angegeben.

– Wandervogel, Monatsschrift für deutsches Jugendwandern, verschiedene Hefte des Jahrgangs 1913 – Helwig, Werner, Die blaue Blume des Wandervogels, Deutscher Spurbuchverlag, überarbeitete Neuausgabe, hrsg. Von Walter Sauer, 1998.

– Speiser, Heinz, 1977: Hans Breuer – Wirken und Wirkungen, eine Monografie, Burg Ludwigstein.

– Wurm, Helmut 1990: Vorarbeiten zu einer interdisziplinären Untersuchung über die Körperhöhenverhältnisse der Deutschen im 19. Jahrhundert und der sie beeinflussenden Lebensverhältnisse, 2 Teile. Teil 1: Einleitende Begründung, quellenkundliche Probleme, quellenkundliche Vorarbeiten für die politischen Einzelräume von Norddeutschland bis Württemberg. Teil II: Quellenkundliche Vorarbeiten für Baden, Elsaß-Lothringen, Bayern, das gesamte Deutsche Reich, zusammenfassende Auswertung, ernährungshistorische Hinweise, Schrifttum. in: Gegenbaurs morphologisches Jahrbuch, Bd. 136, S. 405-429 und S. 503-524.

(In dieser Untersuchung waren nur die Wachstumsverhältnisse ab 18 Jahren betrachtet worden. Es wurden die damaligen Messungen an Turnern, Soldaten, Studenten usw. ausgewertet, wobei immer wieder die Klassifikation Turnerjugend, soldatische Jugend, studentische Jugend usw. auffiel)

– Eine Internet-Suche (z. B. in http://de.academic.ru; wikipedia; scout-o-wiki, buendische-vielfalt) zu den Schlagworten „Jugendbewegung, Altwandervogel, Wandervogel e.V., Meißner 1913, Freideutscher Jugendtag, Meißnererklärung 1913, Knud Ahlborn, Gustav Wyneken, akademische Freischar, Bund deutscher Wanderer“ usw. Die konkret benutzten Stellen sind als Fußnoten angegeben.

– Siehe auch: Hoher Meissner 1913. Der Erste Freideutsche Jugendtag in Dokumenten, Deutungen und Bildern, hrsg. von Winfried Mogge und Jürgen Reulecke, WochenschauVerlag, 1988, 422. Seiten.

(Verfasst von Helmut Wurm, März 2013. Der Hinweis und der Terminus, dass die so viel zitierte Meissnerformel „keinen Kult-Charakter“… für die Wandervogelbewegung habe, stammt von Alexej Stachowitsch, Axi, der das in einem telefonischen Gespräch mit dem Verfasser über diesen Beitrag ergänzend knapp 1 Woche vor seinem Tod so

BÜNDE HEUTE und früher – Bund – Wandervogelbünde ab 1945 – dj 1.11

BÜNDE HEUTE und früher


WANDERVOGELBÜNDE + WIR (wandervogel e.v.)

Seit je schwirren viele Wandervögel allein herum, weil sie ihrem Bund entwachsen sind oder ihre Gruppe sich aufgelöst hat. Noch mehr andere Bündische gibt es, die aus engen Gruppen einen Wandervogelbund suchen. Eine Reihe davon hat zu unserem Bund gefunden.

Bünde mit Wandervogeltraditionen wie Freischar, Zugvogel, Artaban, Fahrende Gesellen, Blaue Blume, Mädchenwandervogel, Mädchenwanderbund, reformjugend und Nerother halten sich und wehren sich gegen die Zeitströme, halten sich aber weitgehend von der Öffentlichkeit und ihrer Kritik aus vielen Gründen fern.

Noch kleinere Bünde, die oft nur aus 20, 30 Mitgliedern bestehen, leben ihr Wandervogelsein als Genuss und fast alle ihrer Mitglieder haben es aufgegeben, groß wachsen zu wollen und weitere, neue Gruppen zu gründen. Sie meiden die die Öffentlichkeit fast ganz und geben sogar ihre Termine meist nur unter sich bekannt.

Wir im WV haben mit einigen älteren Bündischen versucht, mit einer Wiedergründung des Wandervogel e.V. nach seinem Verbot den Wandervogelgedanken wieder mit neuem Ansatz zu verbreiten. Wir haben bis heute den Wunsch, Menschen in unsere Gruppen aufzunehmen und sie zu Wandervögeln zu machen. Wir gehen von der These aus, dass viele als Wandervögel geboren werden, und die Wandervogelgedanken nicht kennen und nie einem Wandervogelbund begegnet sind. Sie müssten leicht echte Wandervogel werden.

Beide Gedanken ließen sich nur begrenzt verwirklichen. Es sind wirklich einige, die echte Wandervögel wurde, obwohl sie nicht von jung auf an Wandervögel sein konnte. Aber die meisten von uns sind nur Wandervogel geworden, um an unseren Gruppen teilnehmen zu können.

Deshalb haben andere Wandervögel und Bündische uns kritisiert, als nicht echte Wandervögel, als Bund, der den Wandervogelnamen. der mit guten Vorsätzen den Namen Wandervogel missbraucht. indem sich Menschen Wandervogel nennen, die keine Wandervögel sind mit Sätzen: Guter Wille, aber nix geworden / Wandervogelschwindel / Heiße Luft ohne was. Für Wandervogelpuristen mag das stimmen. Für diejenigen aber, die im Jugendarter nicht die Chance hatten Wandervogel zu werden, und die richtige Wandervögel wurden, stimmt das nicht.

Wir sagen für uns realistisch: Unseren Bund gibt es seit 1998 wieder. Das sind 26 Jahre. Mehrere konnten durch uns überzeugte Wandervögel werden und sind dafür dankbar. Unser Bund bringt vielen Freude. Zwar hat der größer angelegte Versuch nicht geklappt, und nur einige von uns leben den Bund.

Wir wollen unseren Wandervogelbund nicht missen und bieten weiterhin Menschen an, bei uns dazu zu gehören und Wandervogel zu werden, wenn sie zuerst zumindest sich gern einbringen und Mitmenschlichkeit respektieren. Die tieferen Regeln und Gedanken des Wandervogel zu leben, überlassen wir jedem einzelnen Neuen. Und das ab und zu mit Erfolg und zum Glück für die, die sonst keine Chance hätten, Wandervogel zu werden.

Da tun wir etwas, was andere nicht tun, ausschließen, verachten. Und lassen Menschen allein, die gern dazu gehören würden.

Einige Bündische sehen die Chance unseres Ansatzes wie wir, stoßen bei uns dazu und unterstützen unseren Ansatz. Und so sind wir ein kleiner, optimistischer  Wandervogelbund mit Wachstum, von Spießern gering geschätzt, von vielen Bündischen verachtet, stolz und mit einer  Geschichte, mit Berichten, Gedichten, Liedern, Fahrten, Festen, Erlebnissen, die zum Mitmachen einladen, sich singen, hören, lesen und mitmachen lassen.   hedo

Mach‘ doch unsere Jurtennächte, unsere Teestubengespräche, unsere Festtafel, unsere Festabende mit. Dann spürst Du Wandervogel, vielleicht mehr als bei anderen Bünden, besonders die Jurtennacht am Freitag Abend.


BÜNDE HEUTE UND FRÜHER  4.4.22

Mehrere Bünde halten seit fast 100 Jahren an der alten Regel fest: „Jugend führt Jugend“. Stimmt das noch richtig? Oder sitmmte das nie?

Bei den Bünden, die durch Zuschüsse staatsabhängig sind, sind es meist angestellte Erwachsene, die durch Zuschüsse bezahlt werden. Oft haben diese Bünde ein System, dass diese Verwaltung hinten an stellt und durch Wahlen Ältere, also auch Erwachsene einer Bundesführerschaft, wählt. Bei den kleinen unabhängigeren Bünden sind es oft menschen die mit Erbe, Rente, Krankheitsgeld und ähnlichem abgesichert üb er viele Jahre die organisation leiten und die Hautentscheidungen fällen oder so beeinflussen, dass sie meist durchgesetzt werden. In wenigen fällen werden junge Erwachsene gewählt. Gibt es noch einen Bund, der seit Jahren von Jugendlichen geführt wird?

Vielleicht wird durch Wiedergründungen und besondere Umstände mal ein Jugendlicher gewählt. Vielleicht ist es die reformjugend in Deutschland, die Studenten wählt und dsshalb zur Zeit seit jahren am jugendbewegtesten ist.

Allgemein gesehen ist aber der alte Wunsch der Jugendlichen durch Jugendliche geführt zu werden nicht mehr in. Er ist kaum noch realisierbar. Die kompliziertere Gesellschaft braucht mehr als 1 Jahr, das junge Menschen in ihrer Ausbildungszeit dem Bund zur Verfügung stellen. Team, Teamrekrutierung und Einarbeitung brauchen längere Zeit. Opfer sind auch nicht günstigste Voraussetzung für Bundesausbau. Diese Zuschuss- und Strukturabhängigkeiten behindern viele Bünde sich kontinuierlich auszubauen. Massenmedien sehen es nicht als ihre Aufgabe, sich kontinuierlich für Jugendbünde einzusetzen.

In ihrem Vorwärtsdenken sind mehrere Bünde in Deutschland viel besser, als ihre Größe und Wirksamkeit. Struktur- und Zielschwächen behindern sie jedoch. Politik kann nicht offen diskutiert werden – sonst fallen die Zuschüsse weg, die fast überall nur partiell und nicht institutionell sind. Fast überall können sich dynamische Führungspersönlichkeiten nicht durchsetzen, sondern werden durch die Bundeskonstruktion, durch Finanzen und durch Anpassungsregeln ausgebremst.  Einige Bünde versuchen hier ausballancierte Kompromisse zu finden, die ausbremsen, aber einen gewissen oft politikverweigernden Freiheitsgrad  halten.

Wenn ein Bund an gewissen Zuschuss im Jahr erst einmal eingeplant ist, kann darauf nicht verzichten. Er kann auch schwerer wachsen, da es dafür keine echten Zuschüsse gibt.

Lebensbünde und thematische Organisationen haben es etwas leichter. Lebensbünde haben meist Ältere, die sponsern können. Thematische Organisationen haben evtl. Spender.

Zusammengefasst kann gesagt werden, Bünde haben aus genannten Gründen kaum eine Chance, in Deutschland langsam oder schnell an Bedeutung zu gewinnen, wenn wir nicht Bewegungen wie „Friday for future“ oder ähnliche Spontanbewegungen in unsere Betrachtung einbeziehen.  mike


Wandervogelbünde ab 1945

Ab 1945 konstituierten sich die Wandervogelbünde neu, teils in früherer, traditioneller Form teils erneuert mit freiheitlichen, weltweiten Gedanken. 

Einerseits am Rhein und im Bergischen die vitalen, lauten Männerbünde um die Oelbermanns mit den Nerothern und ihren Abspaltungen, der Zugvogel um Gero, der Wandervogel Bund für Jugendfahrten um Hannes, der Weinbacher Wandervogel um Fabian und der autonome wandervogel mit wirkungsvollem, selbstgeschaffenem Liedgut, oft kunstvoll vorgetragen und später auch unser Bund Wandervogel e.V.

Im Norden, Süden und in der Mitte Deutschlands entstanden die gemischten, koedukativen Wandervogelbünde nach 1945 neu, besonders der Wandervogel DB, der durch Drogenverweigerung, besondere Schriften, Tanzen und große Singeleistungen starke Wirkungskraft entfaltete, besonders gestärkt durch Kraft und Fleiß von Gerhard Neudorf.

Außerdem gab es viele kleine Wandervogelgruppen und neue Bünde. Die deutsche reformjugend, die Fahrenden Gesellen mit dem Mädelwanderbund, die Gefährtenschaft und der wandervogel e.v. sind in diesem Zusammenhang zu nennen.  Großartige Singeleistungen gab es auch hier. Jüngster Spross der Wandervogelbünde ist der von Gerhard initiierte Wandervogelverbund. 

Diese zwei Hauptrichtungen bestimmen bis heute die Wandervogelszene in Deutschland, die Männerbünde, die Gemischtennd auch zwei Frauenbünde. Die Richtungen hatten untereinander wenig Kontakt. Die Männerbünde im Westen grenzten sich von den anderen Wandervogelbünden stark ab.

Manchmal wirken sie teils zusammen. Kontakte zu den Wandervogelbünden in Österreich und Japan bestande sporadisch oder nicht. 

Verbunden sind die Bünde durch das gemeinsame Bekenntnis zur Meißnerformel in abgeschwächter Form: Alkohol und Nikotin werden teils nicht abgelehnt, der Begriff „freideutsche Jugend“ wird nicht mehr verwendet, das geschlossene Eintreten für die Meißnerformel wird unterschiedlich bekundet. 

Gemeinsam bleibt der freiheitliche Rumpfsatz: „Wir wollen das Leben in eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit, vor eigenem Gewissen selbst gestalten.“ „Und in Gemeinschaft“ fügen wir hinzu.

Erwachsene spielen heute in fast allen Bünden eine große, oft tragende Bedeutung. Disten Wandervogelbünde haben heute nicht Jugendliche, sondern sind  „Lebensbund“.

Nach 1945 bildete sich der Ring junger Bünde, in dem sich die meisten der Wandervogelbünde zusammen schlossen.  Den Ring bündischer Jugend gibt es bis heute. Dabei sind auch einige Pfadfinderbünde, die stark vom Wandervogel geprägt wurden. Auch jungenschaften gehörten dazu. Die graue jungenschaft mit dem ehemaligen Schiff „Falado“ ist eine jungenschaft, die es noch gibt. 

Der Ring junger Bünde sorgte für Zuschüsse, verlor mit den Jahren an Bedeutung und ließ die Kluft zu den Pfadfinderbünden größer werden, die allgemein vom Staat Zuschüsse annehmen, sich voll an die Gesellschaft anpassen und eigene Pfadfinderverbände haben. 

Die Situation führte beim Meißnerlager 1988 dazu, dass Gerhard Neudorf, lampi und Freunde die bündische Kulturinitiative bildeten mit der Zeitschrift „Idee und Bewegung“, die zum einem Bindeglied vieler Bünde wurde, und die nun auf Gut Steimke, kurz vor Gerhard Tods, Heimat und Zentrum fand. 

Ein Zentrum, aus dem sich noch mehr entwickeln kann, vielleicht eine Fortführung der „Pädagogischen Kolloquien“ von Gerhard.

Gerhards Traum war, aus der Kulturinitiative eine eine „Wandervogelakademie“ für Pädagogik, Kultur und Natur zu gründen. Ein Gedanke, die bündischen Wissenschaftler zu vereinen und den Wunsch zusammen zu fassen, der fast alle Wandervögel eint: Endlich in Deutschland für die Menschen ein Zentrum zu schaffen, in dem die besten und bewährtesten Erkenntnisse für Mensch, Natur und Kultur zusammengefasst und gelehrt werden. Auch Nutzung von Impulsen und Ansätzen aus den USA, aus Japan, Finnland, Schweden, Dänemark ist denkbar. Der Wandervogelgedanke ist für die Zukunft brisant und vorwärtsweisend und findet immer wieder neue kreative Formen.h


Gerhard Neudorf – G e r h a r d N e u d o r f  zum Gedenken  

Gerhard Neudorf ist gestorben. Ihm zum Gedenken bringen wir die folgenden Gedanken.

Gerhard war ein Mensch, der lebenslang der für den Wandervogel brannte, und der für den daraus resultierenden Fortschritt in Gemeinschaft hart gearbeitet und gestritten hat.

Nicht jeder konnte seine kategorischen Strenge ertragen. Aber geachtet und anerkannt haben ihn viele.

Mit all seiner Strahlkraft und Bedingungslosigkeit war er ein großartiger Mensch. Er war Vordenker und Bindeglied, Impulsgeber und der Eckhart des Wandervogels.

Gerhard, auf Griechenlandfahrt, im Initiativkreis der Kulturinitiative und im Wandervogel-Älterenbund haben wir manches gemeinsam erdacht. Du nanntest mich öfter den Goldmund und Dich den Narziss. Wir rasselten auch aneinander.
Meist glätteten wir die Wogen bald, da wir einander schätzten. Öfter nutztest Du meine meine Stärke, Impulse geben zu können.

Als ich mich aus der KULTURINITIATIVE zurückzog, um den Rabenhof in Lüttenmark zu renovieren und auch mit durch Dich inspiriert, den freiheitlichen wandervogel e. v. wieder aufzubauen, besuchtest Du mich mit Horand, Deinem Sohn.

Gerhard, ich denke oft an Dich. Du hast mir viel gegeben. Du warst eine der großen Wandervogelpersönlichkeiten nicht nur nach 1945.
In vielem, was es heute an bündischer Entwicklung gibt, ist Dein Wirken zu spüren.

Dafür danke ich Dir. Dein hedo

Ich sandte zur Gedächtnisfeier und zur Beerdigung Gerhards meinen Liedtext „Im Fiedelers Grün“, der dort von Iris Mannke vorgetragen wurde. 

 

FAHRENDE GESELLEN

Bund für deutsches Leben und Wandern = Das war Verinnerlichung und Großdeutsch

Die meisten alten Fahrenden Gesellen hatten zu meiner Jugendzeit eine Art von großdeutschem Denken von Volk und Familie, das nicht recht in die aufstrebende, sich schnell entwickelnde BRD passte. Eben Bund für deutsches Leben und Wandern.

Dadurch waren wir Jugendlichen so eine Art Ritter auf verlorenem Post, lauter kleine Don Quichotes, die sich als verlorener Haufen betrachten, als Kämpfer gegen alles Spießertum, alle Unmenschlichkeit, alles Abzocken, alle Arroganz, alles Imponiergehabe.

Politiker, Industrie, Presse, waren Verräter, Krauter, Volkszerstörer. Landsknechte, Seeräuber, Ordensritter waren für uns die Kämpfer für Freiheit, Heimat, Vaterland. Und wir empfanden uns als kleine, aufmüpfige  Helden.

Das änderte sich mit den Jahren, als wir erwachsen wurden.  Zuerst erlebten wir auf Fahrten die Realität in Deutschland und anderen Ländern. Im Ausland begriffen wir uns als Deutsche neu. Was ist deutsches Leben? Deutsches Wandern? Komisch. Wir sind nicht besser, als die freundlichen Menschen im Ausland, nicht besser, als Freunde, die nicht im Bund sind.

Wir sind nicht besser, als die anderen. Es sei denn, wir haben eine gute Gruppe, mit der wir ins Ausland fahren können, wir wandern, wir singen, wir schätzen überlieferte Lieder, Tänze. Und vor allem lieben wir die Natur und wollen anderen helfen, auch so schönes erleben zu dürfen.

Da waren wir bei tusk.

 

Tusk aber war in den zwanziger Jahren. Vieles hatte sich geändert. Deutsch war nicht mehr das Ideal. Die meisten von uns lebten in Familien im Wirtschaftswunder. Nur dass viele Väter durch den Kriegstod fehlten.

Als wir älter wurden, strebten wir dazu, zusätzlich zu unseren Fahrten, Stadtteile wohnlicher zu machen gegen Massensiedlungen und Hochhäuser und Isolation auch Erwachsenen Heimat zu geben. Politiker die Kinder und Jugendliche weiter förderten und Städte wohnlicher machen wollten, für Natur und Leben eintraten, wurden von uns nicht mehr abgelehnt.

Wir lasen gemeinsam Arno Placks „Die Gesellschaft und das Böse“,  lernten weiter auf Abendschulen, sahen Weiterbildung als gute Wirkung, nicht schlechte Chefs ertragen zu müssen und mit unserem Beruf, mit besserem Verdienst weiter zu kommen.

Für viele ging das damals nicht bei den Fahrenden Gesellen, die sich als Bund nur langsam weiterentwickelten. „Bund für deutsches Leben und Wandern“ ist ein Satz, der in sich selbst unstimmig für uns war. Was ist „deutsches Leben“? Was ist „deutsches Wandern“? Das wurde vorausgesetzt. Und es wurde nie definiert. Frieden, Mitmenschlichkeit, Weltweitheit und Deutschland in Beziehung zu anderen Ländern und Völkern waren uns wichtiger, als seltsam verklausuliertes nationales Deutschseins über allem, auch, wenn der Bund viel Gutes gegeben hatte. Die Antworten für die Zukunft fehlten Älterwerdenen. Für viele ging das nicht bei den Fahrenden Gesellen.

Viele gingen und wandten dem Bund, dem Bündischen den Rücken zu. Einige gingen zur Deutschen Freischar, zum Wandervogel oder in Organisationen wie Nabu, Bund, Grüne, Heimatvereine oder andere, auch in Kirchengruppen.


dj 1.11

2024: Nun 95 Jahre her, dass tusk am 1. 11. 1929 die dj 1. 11 ausgerufen hat.

Habt Du das gefeiert? Hast Du dran gedacht? Hast Du überlegt, was Dir, was uns das heute bringen könnte? Mich wundert, dass ich nirgends davon bisher gehört oder gelesen habe. Anscheinend gab es nirgendwo ein Fest, eine Besinnung, die bedenkenswertes hervorgebracht hat?

Ich kann mir vorstellen, dass aus dem den Meissnererlebnissen und -Erfahrungen ein neuer Aufbruch passieren könnte. Vielleicht würde der Aufbruch eher von Pfadfindern als von Wandervögeln und Jungenschaftlern gemeinsam inszeniert werden. Dass der Ludwigstein nun verleumderisch angegriffen wurde, ist hoffentlich bewältigt. Immerhin melden sich da nun viele, um die Böswilligkeiten und Unterstellungen abzuwehren. Erstmals wird nun hoffentlich so ein Angriff machhaltig abgewehrt.

Konzepte und Einigungen, ein Aufbruch von Bünden für die Zukunft ist jedoch noch kaum in Sicht. vielleicht ein heller Streif am Horizont. Bei den Meissnertagen habe ich in vielen Gesprächen kaum etwas davon gehört. Deshalb habe ich den Wandervogel – Aufruf mit den 10 Fragen an die Welt ins Netz gestellt.

Die Fragen sind Fragen der Zukunft, des Überlebens, für die Völker und die jungen Menschen, Fragen für morgen.  Ich weiss, dass unsere Bünde damit Schwierigkeiten haben, dass sie Überlebensfragen als Politik, als Parteipolitik, begreifen, anstatt sie einfach menschlich zu sehen.

Wenn wir in andere Länder fahrten wollen, wenn wir fremde und unsere Kulturen, Lieder, Musiken, Sprachen lieben, dann kann uns das Leben der anderen Menschen in anderen Völkern nicht gleichgültig sein. Dann müssen wir uns auch dafür solidarisieren, auch wenn der Weg zu so einer Solidarität weit ist, wo wir noch nicht einmal Freundschaft und kontinuierliche Zusammenarbeit unter den Bünden gut schaffen.

Abe immerhin: Das Meissnertreffen war ein guter Anfang. Vielleicht schaffen wir ja doch mehr Einigkeit untereinander, vielleicht auch aus Existenznot unter den Bünden.

Die Europapolitiker finden nicht den Weg zu einem einigen Vielvölkereuropa. Mit mehreren Zungen sprechen, aber vereint handeln. Wenn die Bünde weiterhin eine Existenzberechtigung haben sollen, müssten sie enger zusammenrücken, um handlungsfähiger zu werden.

Aus dem Verein fürs Meissnerlager habe ich solche Anzeichen noch nicht gehört. Ist da zu hoffen? Unser Bund ist für die Zukunft offen und bereit.

hedo

Wie ich den Wandervogel erlebe und sehe

21014_1576759419318265_5476775981774575691_n 2 Kopie.jpg    971930DE-C7F8-4FA4-BDFD-D9FE90141439_1_105_c.jpeg Rabenhof

Um 1892 entstand die erste Wandervogelgruppe am Steglitzer Gymnasium. Eine Gemeinschaft, die raus in die Natur wollte, und leben, was echt, natürlich, ungekünstelt, ehrlich ist, möglichst frei von der Enge der Stadt und Freiheit vom preußischen Gehabe. Bei diesem Rausfahreni ist der Wandervogel bis heute geblieben. Mein Großvater und Vater waren schon Wandervögel, so dass ich von Kind an schon Wandervogel sein darf.

Continue reading „Wie ich den Wandervogel erlebe und sehe“

DEUTSCHLAND BUNDESLÄNDER Vor- und Nachteile – Fahrtenländer

DEUTSCHLAND BUNDESLÄNDER  2022

Die Bundesländer spiegeln einerseits die Vielfalt und Unterschiedlichkeit dar. Dabei haben sie unterschiedliche Vorzüge und Schwächen

Mecklenburg 2025.3

Ich lebe in MV, so dass ich hier etwas besser Bescheid weiß, wie der Hase läuft. Jetzt bei der Bundestagswahl zeigt sich, dass die SPD abgewirtschaftet hat, am mehreren Ebenen.

  1. BILDUNG: Frau Schwesig hatte zur Koalition Frau Oldenburg, die beste Pädagogin in MV von den Linken als Bildungsministerin geholt. Zuerst hat sich ihr 200 Lehrer mehr (das Mindeste) bewilligt und sie dann kalt gestellt. Man hört seit langem nichts mehr von Frau Oldenburg.
  2. UMWELT: Herr Backhaus 2.1 SPD ist seit vielen Jahren der Umweltchef der SPD. Er ist für die Reiter der Gestüts Redefin und für die Jäger, Das Grundwasser wird an vielen Orten immer schlechter. Die Europa – Voraussetzungen für Landwirtschaft sind nicht richtig konkurrenzfähig. Vom Land her sind Bauern Millionäre, die Landwirtschaft bringt bei gegebenen Voraussetzungen nicht das ein, was sie beim Bodenwert bringen müsste, sondern viel weniger. Glyphosat – Gift von Bayer wird weiter verwendet. Und die Bauern kriegen Diesel weiterhin verbilligt und weitere Subventionen. Da läuft vieles falsch, und die Bauern können nichts dafür. Herr Backhaus macht dazu seit Jahren viel zu wenig, übt auf Europa keinen Druck aus. Ökolandwirtschaft ist als Alternative um ca. 15% gewachsen. Vom mir aus ist die Landwirtschaft bei 30 Jahren SPD nicht gut voran gekommen. 2.2. Die AfD verweigert Umweltschultz und hat niemanden. 2.3. Die CDU hat keinen Spezialisten und fordert gleichzeitig Unternehmerisch, umweltfreund und leistungsfähig. Bei den Regularien heute widerspricht sich das. 2.4 Die FDP war noch nie landwirtschaftsorientiert. 2.5. Die LINKEN übernehmen in etwa das 10 Punkte Programm von Herrn Backhaus. Deutschland- und Europapolitik von CDU und FDP verhindern das jedoch seit Jahren. Dr. Weiß meint, das gingen nur mit den LINKEN. 2.6. Die GRÜNEN sprechen sich für ein Ändern der Regeln zukunftsorientiert aus, können mit ca. 8% in MV und 13% auf Bundesebene kaum etwas ändern. So gesehen bleibt es beim Alten, und das Grundwasser wird im Touristenland MV weiter verseucht

3. Landtagswahl

Bei der letzten Landtagswahl bekam die SPD mit MP Frau Schwesig fast die absolute Mehrheit. Sie wurde trotz ihrer 6 Schwächen von Medien von den Medien breit hochgejubelt, gestützt durch die Schwächen von CDU, Linken und Grünen. Die 6 Schwächen waren: Schulpolitik (Lehrer,Lehrerausbildung,Fehlstunden), Landwirtschaft&Umwelt (Gifte,Wald,Moore,Massentierzucht,Antibiotika), Wirtschaftspolitik (Firmenansiedlung,Werften,Abwanderung von Firmen, Abwanderung von Arbeitskräften, geringe Löhne, Subventionsfehler), Nordstream2 (Gasabhängigkeit, Umweltverträglichkeit, Fehlkonstruktion der Förderung), Fehlsubventionen (Firmenpleiten nach Subventionen), Polizei (Verfassungsschutz, rechte Polizisten, zu wenig Ausbildung). Die LINKEN versuchen mit Frau Oldenburg in Schulpolitik einiges zu verbessern. Die CDU mit ihrem Bundestagsabgeordneten Amthor macht Miese, mit einige neuen Köpfen ein paar Pluspunkt. GRÜNE und FDP kritisieren zwar, treten aber auf der Stelle und glänzen nicht mit neuen Ideen und konstruktiver Kritik bei den 6 SPD-Schwächen. Die SPD kriselt.

4. BOIZENBURG AN DER ELBE:

Kleinstadt 50 km östlich Hamburgs schon in Mecklenburg bei Lauenburg 11 km. MITTELALTERLICHES FACHWERK-RATHAUS, ein alter Wasserringwall mit Graben und Damm und Spazierweg rings um die Stadt, ca. 3/4 Stunde, Fliesenmuseum der Stadt mit Ausstellungen aus vielen Ländern, Emma – Theaterschiff, Kino, Mittelalterlicher Pavillon an der Quöbbe am ehemaligen Postgebäude, viele Fachwerkhäuser und verwinkelte Straße mit Fachwerkhäusern, teils mit wunderschönen Hinterhöfen und Gärten, Café Stenschke, Rathausdiele, Restaurant und Hotel Waldschlösschen, natur-Freibad an der Boize, Boizenburg-Bahnhof 3km, Heimatmuseum, altes Logenhaus, Evangelische Kirche, Einkauf in der Reichenstraße, Eisdiele am Rathaus. Viele schöne Fotomotive. Der Spaziergang lohnt sich.

5. Fahrtenland

Mecklenburg ist eines der schönsten Regionen Europas, mit Wasser und Grün, mit guter Luft und Weite, Mit stolzen Bäumen, buntem Himmel und starkem Mond.

Die Schulen jedoch sind leider nicht besonders. Es fehlt an Ausstattung, guter Zahlung für die Lehrer. Viele Menschen wandern ab, auch Lehrer. Weshalb wandert ein Mensch ab, aus dieser schönen Heimat? Die Löhne sind 30 Jahre nach der Mauer entschieden niedriger. So wird in Hamburg durchschnittlich 13 Stunden monatlich weniger gearbeitet und jährlich 13.371 Euro mehr verdient. Die Renten sind dadurch meist höher und die Urlaubszeiten sind in Hamburg im Westen meist länger. Der Arbeitsdruck ist in Mecklenburg auch noch höher. Diese große Kluft ist derart ungerecht, dass von hier aus die Hälfte der Arbeitenden jeden Wochentag nach Hamburg fährt. Was das an CO2 und Umweltschäden produziert und an Lebenszeit kostet ist eine Folk dieser Superungerechtigkeit. hedo

6. Standorte -Ausgangspunkt

Der bündische Rabenhof in 19258 Greven-Lüttenmark, 50 km östlich Hamburgs lädt preiswert ein mit Jurte, Feuerplatz, Tanzsaal, Zeltwiese, Baumhaus…. 0152 2198 3817

7. Mecklenburglied

Grün Mecklenburg, du baumreiches Land, von Linden gesäumt und von Eichen gebannt, du Land der Alleen mit Wiesen und Klee, du Land der Weite, du Land an der See.

2.Grün Mecklenburg mit glasklaren Seen, mit stolzen Bäumen und sturmreichen Böen, mit Wolkengestalten wie sonst nie geseh’n, Grün Mecklenburg, du bist wunderschön.

3.Grün Mecklenburg, du uriges Land, mit buntem Sonnenuntergang, mit Mondschein wie’s ihn sonst nirgendwo gibt. Wer ist nicht in Mecklenburg verliebt?


HAMBURG

In Hamburg wurde die SPD plötzlich hochgejubelt. Hier war es besonders Springer unterstützt von vielen Trittbrettfahrern. Der Bürgermeister ist Mediziner und hat bisher mit Glück in der Pandemie gewirkt.


BREMEN

In Bremen hat der Bürgermeister Bovenschulte mehreres gut gemacht. Vor allem hat er mit seiner Koalition SPD-GRÜNE-LINKE düe -Bremen einiges bewirkt.


SCHLESWIG HOLSTEIN

In Schleswig-Holstein hat die CDU einen Hoffnungsträger, der gut mit GRÜNEN und FDP zusammen arbeitet. Es wird in Kürze gewählt. Es liegt nahe, dass er wiedergewählt wird.


BAYERN

In Bayern hat MP Herr Söder das Sagen. Durch ständiges Querulieren auf Bundesebene wirkt er hier im Norden als seltsamer Kauz. Durch seine Weigerungen Windkrafträder nicht dem Bedarf entsprechend fördern zu wollen, wird er wohl weiter an Stimmen verlieren. Dennoch ist Bayern das reichste Bundesflächenland, hat die besten Schul- und Polizei-Ergebnisse. Da sein Koalitionspartner FREIE WÄHLER abrutscht, könnte es sein, dass er bald mit GRÜNEN zusammen regieren muss. Eine interessante Entwicklung.


BADEN-WÜRTTEMBERG

In Baden-Württemberg regieren die GRÜNEN mit MP Kretschmann seit Jahren erfolgreich trotz schwieriger Wirtschaftsfragen besonders der Autoindustrie, trotz Umweltfragen, Stuttgarter Bahnhof, Weinanbau, Pandemie und Krieg. Maßvoll nach allen Seiten und beispielhaft für andere Bundesländer.


BESONDERE BERICHTE ÜBER BUNDESLÄNDER

Fahrtenland sind alle Bundesländer. Deutschland zählt zu den schönsten Ländern der Welt, sagen viele. Ich denke, so etwas lässt sich schwer verallgemeinern. Was braucht eine Horte am meisten? Wofür wollen alle sparen? Was soll gemacht werden? Ein Lager? Tippeltouren? Dorffeste? Bewährung? Kultur? 

jungenschschaft, dj, zeitschrift „briefe“ tusk und die fg

„zeitschrift briefe“ tusk und die fg

Irgendwie bin ich immer Fahrender Geselle geblieben. Nicht nur, weil meine Badetücher immer noch blau und gelb sind. Auch meine Gedanken kreisen oft um meinen Jugendbund, in dem ich großartige Jahre, Fahrten, Erfahrungen und Entscheidungen erlebte. Und der in seiner heutigen Form von einigen Extremisten zu Unrecht weiterhin pauschal als eng  national verurteilt wird. Das ist falsch. Und was im Internet steht, müsste mit Positivmeldungen überschwemmt weden.

„Die Fahrenden Gesellen, Bund für deutsches Leben und Wandern“, ist die Nachkriegsbezeichnung, den Wiedergründer des Gründungskapitels nach dem 2. Weltkrieg bei der Wiedergründung annahmen, als sie sich vom Nationalismus und vom Kaufmannsbund trennten. Auch der Mädelwanderbund wurde wieder gegründet. Damit war der Bund geöffnet für jeden, der sich nicht an der schwammigen Formel vom „Deutschen Leben“ akzeptierte.

Als wir in der Jungenhorte begannen, unsere „Bündigung“ zu hinterfragen, stellten wir alles Mögliche erstmal auf den Kopf. Wir fuhren ins Ausland, trugen unsere Erfahrungen in den Bund, kürzten „Fahrende Gesellen“ ab, schrieben die Abkürzung auf tusksche Art klein „fg“ und gaben die „briefe“ heraus, besonders für die Hortenführer des Bundes, trugen Russenkittel, Jujas, hatten Kohten und eine Jurte und zählten uns zur „jungenschaft“. Kleidung und Wörter zeigten unsere Haltung, den Wunsch nach Freiheit, Frieden, gemeinsames Aufbauen, Fahren, künstlerisches Schaffen und Lernen. Wer unsere handgeschriebenen Liederbücher, unsere Schriften und Einladungen sieht, wird das verstehen.

Parteipolitisch waren wir nicht, hatten aber schon ein paar Ziele. Die ersten Ansätze für Naturerhalt, gegen Flussbegradigungen und Zersiedlung, für Wildtiere und schöne, alte Bauwerke. Und auch gegen Unterdrückung deutscher Sprache im Ausland und für Friesen, Juden und Sorben in Deutschland. Wir lernten den Spruch über dem Hamburger Rathaus auswendig „Libertatem quam peperere, mojores digne studeat, servare posteritais“, frei übersetzte: „Was Du ererbt von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.“ Und das versuchten wir weltweit zu sehen für alle Menschen.

Das „Deutsche Leben und Wandern“ sahen wir nicht schwammig und verbissen vordergründig, sondern versuchten es mit Kunst und Kultur zu füllen. Mit Grafik und tusk als Lehrer. Dazu dann Lieder, besonders Antikriegslieder und die ersten Umweltlieder. Wir lebten ja mitten in Hamburgs Trümmern und Volkstanz nach Anna Helms, aber weltweit. Wir luden den in Deutschland weilenden Jim Hawkins, einen schwarzen Tanzlehrer ein, uns amerikanische Tänze beizubringen. Jim war bei der Familie Duensing zu Gast. Der Bruder von Wilhelm war bekannter Volkstanzlehrer in den USA.

„Deutsches Leben und Wandern“ störte mehrere von uns.  Wir schrieben es fast nie, sondern meist nur kurz „fg“ für Fahrende Gesellen. Für uns wurde es zu einem neuen Begriff von Heimat. Eine Heimat, die unsere Fahrtenländer mit einbezog über die Grenzen Deutschlands hinaus. Das, was wir erfahren hatten und liebten, war unsere Heimat.Wir dachten weiter und fuhren ins Ausland.

Für uns zählten besonders Marxen in der Nordheide, unser Volleyballspiel, unser Volkstanzen, unsere Kunsthefte, Das Singen unserer Lieder am Feuer, auch Finnland, Schweden und Dänemark. Weiter reichte unser Fahrtenhorizont noch nicht. So kostete die erste Finnlandfahrt für jeden 160 Mark für drei Wochen, Fähren und Bahnfahrt bis zum Hafen südlich Stockholms inbegriffen.

Mit dieser Einstellung hatten wir einen guten Start. Und viele Jungen im armen Arbeiterstadtteil Barmbek wollten zu uns. Da wir auch beruflich mit Lehrer und Weitebildung auf Abendschulen zu tun hatten, brachten wir es nur auf zwei Horten. Die Lütten waren die Seeräuber, die Älteren hießen Deutschritter.

Die meisten Hortenführer hatten sich um die „briefe“ gruppiert und besprachen ihre Bedürfnisse und  Denken untereinander und veröffentlichten Gedichte, Erzählungen. Pepi und hedo schrieben Gedanken zur Zukunft. Hedo schrieb Märchen und kleine Theaterstücke auf Anregung von tejo. So hatten wir uns gut eingerichtet. Doch die fg waren nicht demokratisch, sondern aristokratisch aufgebaut. Wenn einer aus der Bundesführung ausschied, wurde ein Nachfolger von ihr selbst ausgewählt. Da ergaben sich Widerspüche, die dazu führten, dass es zum Bruch kam.

Ich wurde zu einem Gespräch zitiert, fühlte mich derart angegriffen und belieidigt, dass ich kurzerhand den Bund, die Horten, den Tanzkreis und die Freunde verließ. Im Moment war das radikal und schwer verständlich für mich und meine Freunde. Im Nachhinein hat sich das für mich persönlich sehr bewährt. Ich ging zur Freischar, lernte viel von doc und wurde nach dem Abendabi Lehrer. Ein Fahrt nach an die Elbe an die zersprengte Brücke gegenüber von Dömitz mit den Älteren sollte mein Verhalten erklären. Der Bruch mit dem Bund war nicht zu kitten. Für mich eröffnete sich eine jugendbewegte, freie Zukunft. Das führte dazu, dass ich lebenslang bündisch blieb und dazu beitrug den verbotenen Wandervogel e. V. wieder zu gürnden.                                                                                                     hedo

Proudly powered by WordPress | Theme: Baskerville 2 by Anders Noren.

Up ↑